SWR3 Gedanken

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Der Mann am Bahnsteig gegenüber schleicht von Mülleimer zu Mülleimer. Verstohlen linst er in jeden hinein. Und dann sehe ich, wie er ein Stück Pizza aus einem Mülleimer zieht, das ein Fahrgast vorher weggeworfen hat. Er begutachtet das Pizzastück, wischt es ein bisschen ab und isst es auf. Mir drehte sich der Magen herum. An die Flaschensammler habe ich mich zu meiner Schande leider schon gewöhnt. Auch das wollte ich nie. Aber Szenen wie diese machen mich fassungslos. Sie sind die öffentlich sichtbare Spitze eines Eisbergs. All der Menschen nämlich, die in unserem eigentlich steinreichen Land arm sind. Es werden immer mehr. Viele von Hartz IV Betroffene sagen, dass nicht das knappe Budget alleine das Problem ist. Richtig schlimm wird es erst, wenn es zum Dauerzustand wird. Verfestigte Armut nennt sich so was. Wenn die Kinder nie mehr ein größeres Geschenk bekommen können. Ein Restaurantbesuch zum kaum erschwinglichen Luxus und die kaputte Waschmaschine zur Katastrophe wird. Kurz, wenn Armut dazu führt, dass man vom Rest der Gesellschaft abgehängt wird. Ganz langsam passiert das, von Monat zu Monat mehr und mehr. Denn Armut macht auch arm an sozialen Kontakten. Rund jeder sechste in Deutschland ist davon inzwischen betroffen. Daran muss ich manchmal denken, wenn ich durch eine volle Fußgängerzone laufe.

 

„Gepriesen die Hände, die sich den Armen entgegenstrecken, um zu helfen“ hat Papst Franziskus letztes Jahr geschrieben. Das richtet sich an alle, die etwas tun könnten. So wie es verfestigte Armut gibt, gibt es nämlich auch verfestigten Reichtum. Auch diese Menschen unter uns werden mehr. Die eine große Patentlösung gibt es wahrscheinlich nicht. Aber an den Skandal einer immer weiter wachsenden Ungleichheit darf man sich einfach nicht gewöhnen. Damit es irgendwann wieder gerechter zugeht im Land und kein Mensch mehr im Müll der anderen wühlen muss.

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