SWR2 Wort zum Tag

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Zwei alte Herren, die sich jahrzehntelang erbittert bekriegt haben, sind inzwischen versöhnt. Ich habe das eher zufällig im Verlauf eines Telefongesprächs mitbekommen. Zu meiner eigenen Verblüffung war ich darüber nicht begeistert, sondern in einer ersten spontanen Reaktion sogar ziemlich empört. Denn diese beiden hatten als Ausbilder dazu beigetragen, dass es sehr viel Unfrieden und Verletzungen unter denen gab, die sie ausgebildet haben. Sie hatten ihren Zwist auch denen aufgezwungen, die ihnen anvertraut waren. Und nun sind die alten Knaben ein Herz und eine Seele! Ich habe mich gefragt: Machen sich die beiden die Sache nicht viel zu leicht?

Versöhnung ist ja an und für sich etwas Schönes, aber wenn ein Streit nicht nur die beiden Kontrahenten, sondern auch andere Menschen betrifft und betroffen hat, dann braucht eine echte Versöhnung eigentlich mehr. Nämlich die Bitte um Vergebung an alle, die von dem Streit betroffen sind und waren. Der Volkstrauertag am letzten Sonntag ist eine solche offizielle Bitte um Vergebung. Es wird an die Schrecken des Krieges erinnert und Geistliche bitten im Gebet um Vergebung und um Frieden. Das ist wirklich keine überholte Sitte, sondern eine ganz wichtige und im buchstäblichen Sinne Not-wendige Feier. Eine bewusste und sehr kluge Inszenierung der Vergebungsbitte war der Kniefall von Willy Brandt in Warschau. Nach einem Krieg oder schweren Auseinandersetzung braucht es mehr als Friedensverträge, nämlich eine Geste für die Menschen, die zu Opfern geworden sind. Und die Bitte, dass diese vergeben mögen.

Im Fall der alten Kontrahenten, die sich inzwischen versöhnt haben, hat es eine solche Bitte nicht gegeben. Vielleicht sind sie nicht auf die Idee gekommen, wer weiß… Im Nachdenken über die beiden Männer habe ich gemerkt, dass es auch die Möglichkeit gibt, aus eigener Initiative zu vergeben – selbst dann, wenn ein anderer nicht darum gebeten hat. Denn Vergebung entlastet zum Leben. Und der, der an mir schuldig geworden ist, verliert seine Macht, wenn ich ihm vergebe. Der Totensonntag, den wir in drei Tagen begehen, erinnert daran, dass der Tod eine Grenze zieht und man irgendwann keine Chance mehr hat, lebendig um Vergebung zu bitten oder zu vergeben. Nutze die Zeit! Es tut so gut, wenn man ganz lebendig Frieden schließen kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27598
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