SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Heute ist Buß- und Bettag. Bis 1994 war er ein staatlicher Feiertag. Öffentlich spürbar für alle. Heute ist er nur noch ein evangelischer Feiertag. „Gebüßt“ wird nicht mehr so öffentlich. Aber ich finde, das hat auch sein Gutes, wenn Buße „persönlich“ beginnt. Das macht sie womöglich ehrlicher. Zu einem echten Fingerzeig.

Das ist der Sinn von „Buße.“ Dass sie mir zum Fingerzeig wird. Wenn es richtig gut geht, sogar zu einem doppelten:
Zum einen: Bei „Buße“ geht es zuerst darum, dass ich mich selbst in klarem Licht sehe. Mich erkenne. Dass ich dabei auch meine dunklen Seiten sehe oder mich hinweisen lasse: Was läuft nicht gut? Wo bin ich mit meinem Leben aus der Spur? Wo haben sich Beziehungen ungut verfestigt? Wo ziehe ich andere in Mitleidenschaft: Kinder, Partner. Oder auch Kolleg*innen oder auch die Umwelt? Buße ist ein Fingerzeig für mich. Das ist ein Vorteil zu früher, als der Buß und Bettag noch sehr öffentlich war. Damals hatte ich manchmal den Eindruck: Er wird auch in der Kirche so begangen, dass man auf Fehlersuche geht bei anderen. In der Gesellschaft. Da wurde aus dem guten Fingerzeig der moralische Zeigefinger, der auf andere zeigt. Das könnte auch daran liegen, dass wir manchmal gern an anderen das bekämpfen, was wir an uns selbst am wenigsten mögen.

Aber „Buße“ so praktiziert, verkehrt ihren Sinn als Fingerzeig. Ich erinnere mich an ein Wort des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Der hat darauf hingewiesen. Im Blick auf die Buße: „Denk immer dran, hat er gesagt. Wenn Du mit einem Finger auf andere zeigst, auf deren Verfehlungen und Schwächen. Dann weisen im selben Moment mindestens drei Finger deiner Hand auf Dich zurück."

Deshalb: Buße ist ein Fingerzeig zuerst für einen selbst. Auch als Institution. Zum Beispiel als Kirche. Es gibt immer Anlässe, die eigenen dunklen Stellen zu beleuchten. Wir Kirchen haben zum Beispiel immer Anlass, aufzupassen auf Antisemitismus unter uns. Wo begegnen wir ihm, vor allem wie begegnen wir ihm? Antisemitismus ist da, wo wir vergessen: als Christen sind wir nichts ohne den Juden Jesus von Nazareth. Er ist und bleibt der Fingerzeig Gottes fürs Leben. Jetzt und in Ewigkeit. Für jeden Christenmenschen und jede Kirche.

Das ist übrigens die zweite Art, wie „Buße“ zum Fingerzeig wird: Zuerst weist sie mich hin auf das was nicht gut läuft. Aber daraus wird dann hoffentlich der Fingerzeig, wie es besser wird. Wo es neu hingehen kann. Wie ich mich neu ausrichten kann. Persönlich, als Kirche und vielleicht auch öffentlich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27597
weiterlesen...