SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Heute ist der Gedenktag des heiligen Martin von Tours. Er ist Patron Frankreichs, er ist auch Patron der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Viele Martinskirchen weisen auf ihn hin. Die Martinsumzüge mit dem Reiter und den vielen Lampions haben mich schon als Kind fasziniert. Später habe ich sie als Pfarrer dann selbst organisiert. Wenn wir zum Schluss ums Feuer standen, war es mir wichtig, eine Brezel mit den Kindern zu teilen. Wie Martin den Mantel mit einem Bettler geteilt hat, haben je zwei Kinder eine Brezel geteilt, um so zu spüren, wie schön es ist zu teilen. Ich gebe ab von dem, was ich habe, und empfange die Freude dessen, mit dem ich teile.

Martinus ist im Jahr 397 in seinem Kloster, unweit der französischen Stadt Tours an der Loire, gestorben. Als das Volk ihn zum Bischof wählte, ist er nicht in einen Palast gezogen, sondern in seiner Klosterzelle geblieben. Interessant ist, dass er auf Bildern bis zum 14. Jahrhundert ohne Pferd erscheint, als schlichter Mönchsbischof. Er begegnet dem Bettler auf Augenhöhe, nicht von oben herab. Sein Traum in der folgenden Nacht – so wird berichtet – zeigt ihm Jesus Christus; er ist mit dem Mantelteil bekleidet, den Martin dem Bettler geschenkt hat. „Was ihr einem der Geringsten tut, das habt ihr mir getan“, sagt Jesus im Matthäusevangelium beim letzten Gericht.

Im notleidenden Menschen Jesus Christus selber zu sehen, das ist für mich ein starker Impuls. Manche Menschen verpflichten sich, 2 oder 3 % von ihrem Einkommen mit Notleidenden zu teilen. Das ist gut. Aber der Traum des Martinus ist viel radikaler: Bin ich bereit, weiter zu gehen beim Teilen, bis zur Hälfte gar? Ich weiß doch, dass das, was ich habe, nicht mein Verdienst ist, sondern etwas von dem, was allen gehört.

Diese Erde mit ihren Gütern gehört uns allen. Aber wie ungerecht sind die Güter in der Welt verteilt: Manche leben im Überfluss, viele haben nicht das Notwendige. Mehr teilen ist da gefragt. Übrigens war Martinus noch kein Christ, als er seinen Mantel teilte. Das sagt mir als Christen, bereit zu sein,  mit allen Menschen – ob Christ oder Nichtchrist - in unserer Welt für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, egal, welche Herkunft oder Religion der Andere hat.

Auch vom Bettler wird nicht gesagt, dass er Christ war. Also bin ich gerufen, in jedem Menschen – egal wo er herkommt und was er ist – Jesus Christus zu entdecken. Jeder braucht meine Solidarität. Ich muss nicht alles hergeben, dann kann ich ja nichts mehr teilen. Aber das teilen, was ich habe oder mir immer wieder neu erwerbe.

2. Teil

Ich spreche in den SWR 4-Sonntagsgedanken heute über den heiligen Martin. Als junger Gardesoldat hat er seinen Umhang mit einem Bettler geteilt. Dieses Bild hat die katholische Friedensbewegung Pax Christi inspiriert, ihr Jahresthema „Frieden teilen“ zu benennen. Dieses Motto erinnert daran, dass Friede dort wachsen kann, wo wir bereit sind, mit denen zu teilen, die bei uns darauf angewiesen sind. Ich denke an die vielen Flüchtlinge, die aus ihrer Heimat geflohen sind - aus Angst, verfolgt zu werden, oder weil sie dort keine sinnvolle Lebensperspektive haben. In vielen Ländern unserer Erde müssen Menschen flüchten oder eine bessere Lebensmöglichkeit suchen, um ihre Familie zu ernähren. Wir vergessen das oft und fürchten nur, diese Menschen würden uns was wegnehmen. Martinus dagegen fühlt mit dem frierenden Bettler. Er lässt sich in seinem Herzen ansprechen.

Auch bei uns haben manche nicht vergessen, dass sie oder ihre Eltern einmal flüchten mussten. Sie wurden vertrieben. Oder es hat ihnen dort eine neue Regierung das Leben schwer gemacht. So haben sie keinen anderen Ausweg gesehen, als ihre Heimat aufzugeben. Martinus macht vor, was jetzt wichtig ist: uns einzufühlen und unser Herz zu öffnen für Flüchtlinge.

Dazu lädt die Mantelteilung ein. Denn der Umhang, der dem Soldaten des Nachts als Decke gedient hat, musste zur Hälfte von ihm selbst bezahlt werden, bloß die andere Hälfte trug die Staatskasse. Martin hat also kein Staatseigentum verschenkt, er hat seinen eigenen Teil abgegeben.

Diese spontane Geste des Herzens hat für Martin weitreichende Folgen gehabt. Kaiser Julian droht eine Schlacht gegen die Alemannen in Worms. Vor dem Kampf verteilt der Kaiser Sonderprämien an die Soldaten. Als Martin an die Reihe kommt, lehnt er die Prämie ab und sagt: „Bis heute hab ich dir gedient. Erlaube mir, dass ich jetzt Gott diene. Ich bin ein Soldat Christi. Mir ist nicht mehr erlaubt, mit Waffen zu kämpfen.“

Martinus hat nicht nur den Wehrdienst verweigert; er zeigt auch, dass Friede dort möglich wird, wo wir auf Waffen verzichten und gewaltfreie Wege suchen, um Probleme zu lösen. Stattdessen droht bei uns gerade ein neuer Rüstungswettlauf. Militärische Ausgaben sollen erhöht werden, obwohl wir alle wissen: Waffen lassen zuletzt nur Zerstörung übrig. Mit Recht spricht Papst Franziskus von dem Skandal, wie viel Geld ausgegeben wird, um Waffen zu produzieren, zu verkaufen und sie einzusetzen, statt mit diesem Geld Hunger und Armut zu bekämpfen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27530
weiterlesen...