SWR3 Gedanken

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Der schwarze Rollkragenpulli bedeckt Mund und Nase, die Schiebermütze ist tief in die Stirn gezogen. Mit der rechten Hand holt er zum Wurf aus. Zweifellos ist da ein Autonomer auf der Postkarte abgebildet. Vielleicht sogar von Banksy gesprayt – weiß man ja immer nicht so genau.

Die Postkarte steht schon eine ganze Weile auf meinem Schreibtisch. Weil mir der Gegensatz auf dem Bild so gut gefällt. Mein Schreibtischautonomer wirft nämlich keinen Pflasterstein oder Farbbeutel und erst recht keinen Molotowcocktail. Nein, er hat einen satten Strauß Sonnenblumen in der Wurfhand.

Ein kleines Häufchen gelber Blütenblätter hat sich an seinem Standbein gesammelt. Ich stelle mir vor, wie die Wurfbahn des Blumenstraußes eine gelbe Spur in die Luft ziehen wird. Wie ein Komet. Ein farbenprächtiger Protest ohne Aggression.

Blumen statt Steine! Dass das funktioniert zeigt die Geschichte: Rote Nelken in den Gewehrläufen sind das Symbol für den Sturz der Diktatur in Portugal vor 44 Jahren. Diese Nelkenrevolution hat damals eine ganze Reihe weiterer Demokratiebewegungen in Europa angestoßen.

In jüngerer Zeit hat Georgien 2003 den friedlich verlaufenen Machtwechsel zur Demokratie Rosenrevolution genannt und damit den Impuls zu einer Bewegung von unten gegeben. In Tunesien war der Jasmin 2011 die Blume, die die Proteste begleitet hat. Allesamt Bewegungen, die ohne Gewalt versuchten etwas zum Guten zu verändern.

Nur so können Menschen ohne Verletzung miteinander ins Gespräch kommen. Nur so lassen sich Dinge auf nachhaltige Weise klären.

Blumen statt Steine – vielleicht ist das das Motto der neuen Friedensbewegung. Zu biblischer Zeit hat ein Prophet gefordert: Schwerter zu Pflugscharen! Das gilt immer noch. Und dann holen wir von den Äckern die Blumen, um weltweit für eine friedliche Welt einzustehen: Blumen statt Steine!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27515
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