SWR3 Gedanken

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Ich muss den Kopf ganz in den Nacken legen. Nur so kann ich die Turmspitze des filigranen Mauerwerks erkennen. Endlich ist der Turm des Freiburger Münsters wieder gerüstfrei.

Zwölf Jahre lang wurde das gewaltige Bauwerk saniert. Zwölf Jahre waren Teile der Kirche und der Turm hinter Baugerüsten versteckt. Jetzt ist der Blick wieder frei auf dieses Wunderwerk der gotischen Baukunst. Und damit leider auch auf die Geranien!

Seit ich mich erinnern kann sind auf dem Münsterturm – etwa in Höhe des goldenen Schnitts – Blumenkästen mit Geranien angebracht. Drei Seiten des Turms zieren die rotblühenden Allerweltsblumen. Irgendjemand muss diese Blumenkästen wohl auch während der Baujahre gegossen und gepflegt haben. Die Geranien prangen jedenfalls wieder (oder womöglich immer noch) in luftiger Höhe in voller Blüte.

Für mich passen diese eher spießigen Blumen überhaupt nicht mit der erhabenen Baukunst des Münsters zusammen. Ist wohl ein Geheimnis des Glaubens. Vielleicht steckt aber auch mehr dahinter. Womöglich sind die Geranien auf dem gotischen Turm so eine Art Gleichnis für Gottes Dasein im Alltag?

Während ich mich Gott besonders nahe fühle, wenn ich mich in besonders kunstvollen Bauten aufhalte, fühlt sich Gott womöglich einfach dort Zuhause, wo die Blumen ordentlich gegossen werden. Wo sich Menschen um das Leben in jeder Form kümmern. Einfacher gesagt: Gott wohnt nicht in Kirchen, sondern dort, wo die Geranien blühen.

Ich sollte definitiv aufhören, über Geranien zu lästern. Lieber selber welche pflanzen. Und dann: Herzlich Willkommen, Gott, auf meinem Fenstersims!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27514
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