SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Es gibt Tage, da scheinen mir die Leute, denen ich begegne, besonders anstrengend: Unzufrieden, kritisch, unfreundlich. Warum sind die heute alle so schlecht drauf, frage ich mich. Und meistens merke ich dann: Eigentlich bin ich es selbst! Eigentlich bin ich an diesen Tagen unfreundlich, kritisch und unzufrieden – mit mir selbst.

Liebe deinen Nächsten – wie dich selbst. So heißt einer der berühmtesten Sätze der Bibel. Meiner Erfahrung nach ist es der zweite Teil des Satzes, der entscheidend ist – weil der den ersten Teil erst möglich macht.

Sich selbst lieben lernen – für den Schauspieler Charly Chaplin war das ein lebenslanges Projekt. Zu seinem siebzigsten Geburtstag hat er eine Rede gehalten darüber gehalten, die ich sehr bemerkenswert finde:

Als ich mich selbst zu lieben begann, so beginnt Chaplin seine Geburtstagsrede, habe ich verstanden, dass ich immer und bei jeder Gelegenheit zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin, und dass alles, was geschieht, richtig ist – von da an konnte ich ruhig sein. Heute weiß ich: Das nennt man Vertrauen.

Chaplins Rede kommt ganz ohne Gott und religiöse Bezüge aus. Und trotzdem spricht er über Themen, die auch im Zentrum des christlichen Glaubens stehen. Ihm ist Vertrauen sehr wichtig – für Christen gehören Vertrauen und Glauben zusammen.

Als ich mich selbst zu lieben begann, so sagt Chaplin an anderer Stelle seiner Rede, habe ich aufgehört, immer recht haben zu wollen, so habe ich mich weniger geirrt. Heute habe ich erkannt: das nennt man Demut.

Als ich mich selbst zu lieben begann, habe ich mich geweigert, weiter in der Vergangenheit zu leben und mich um meine Zukunft zu sorgen. Jetzt lebe ich nur noch in diesem Augenblick, wo alles stattfindet. So lebe ich heute jeden Tag und nenne es Bewusstheit.

Ein beeindruckender Rückblick in Leben. Es wäre schön, wenn ich das an meinem 70. Geburtstag auch so sagen könnte. Wie es Chaplin gelungen ist, sich irgendwann selbst zu lieben, das weiß ich nicht. Der christliche Glaube erklärt den Weg genau umgekehrt wie Charly Chaplin selbst. Also eher so: Wenn ich anfange zu vertrauen, dann werde ich ruhig, weil ich verstehe, dass ich immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin. Und so beginne ich mich selbst zu lieben.

Und dann gibt es diese wunderbaren Tage, an denen mir die Leute, denen ich begegne, besonders liebenswert scheinen: Freundlich, fröhlich und aufbauend. Und ich mich frage: Warum sind heute alle so gut drauf? Und ich merke: Das liegt an mir. Ich bin nämlich heute freundlich zu mir selbst.

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