SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Beten nützt. In einer Sonntagspredigt ist dieser Satz zu erwarten. Vielleicht auch in einem Wort zum Tag. Ich habe diesen Satz aber an einer Stelle gefunden, wo ich ihn nicht erwartet habe:
In einem Gedicht von Joachim Ringelnatz. Der Lyriker und Kabarettist, der sein äußerst bewegtes Leben als Seemann und Soldat, in Kneipen und auf Bühnen verbrachte, war mir bisher nicht mit Ratschlägen zum frommen Lebenswandel aufgefallen. Im Gegenteil.
Deshalb bin ich aufmerksam geworden, als ich bei Ringelnatz den Satz gelesen haben: Beten nützt. So schreibt er in einem kleinen Gedicht. „Gebetchen“ heißt es.

Man betet so sein Tischgebet.
Man betet, wenn man schlafen geht
Vor Gräbern und vor dem Altar.

Gut! Betet, wenn ihr’s selber wollt.
Dann aber mutig und ganz wahr.
Und lasst euch keines Falles
Dann sagen, was ihr beten sollt.

Gott kennt euch und weiß alles.
Vertraut ihm euer Herzeleid
Und dankt ihm, wenn ihr glücklich seid.

Und schämt euch nicht. Nein, lacht sogar.
Weil beten nützt, wenn’s ehrlich war.
Beten nützt, wenn’s ehrlich war.

Ich bin mir ziemlich sicher: Ringelnatz spricht aus Erfahrung. Deshalb gefällt mir sein kleines Gedicht. Er war mit allen Wassern gewaschen, aber trotzdem – oder gerade deshalb – hat er sich nicht dafür geschämt zu beten. Ich glaube, er hat einen Halt gebraucht. Denn leicht hat er es nicht gehabt. Er hat die Schule abgebrochen, ist an vielen Stellen angeeckt und war, so würden wir heute sagen, ein Mobbingopfer. Er hat sich zeitlebens ohne festen Job durchgeschlagen und lebte meist am Existenzminimum. Wie er das durchgehalten hat, ohne seinen Humor zu verlieren, erstaunt mich. 1934, seine Bücher waren von den Nazis verbrannt worden, starb er mit nur 51 Jahren an einer Tuberkulose.

Etwas muss ihn in all dem gehalten haben. Ringelnatz scheint tatsächlich einer von den Menschen gewesen zu sein, die beten können. Die sich nicht schämen, Gott ihr Herz ausschütten. Weil sie sich darauf verlassen, dass Gott da ist und sie hört. Und weil sie merken: Beten hilft.Hans Gustav Bötticher – so hieß Ringelnatz mit bürgerlichen Namen. Als Künstler hat er wohl mit Bedacht den Vornamen Joachim gewählt. Das bedeutet „Gott richtet auf“. Das war seine Erfahrung. Und deshalb empfiehlt er zu beten. Mit Gott zu sprechen, selbstbestimmt, mutig, ehrlich, persönlich – und natürlich auch mit Humor:

Vertraut ihm euer Herzeleid
Und dankt ihm, wenn ihr glücklich seid.

Und schämt euch nicht. Nein, lacht sogar.
Weil beten nützt, wenn’s ehrlich war.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27502
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