SWR2 Wort zum Tag

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Über den alten Flughafen weht der Herbstwind. Hier gehe ich oft spazieren. Flugzeuge landen hier schon lange nicht mehr. Die früheren Landebahnen sind überwachsen mit Gräsern und Heide. Hin und wieder eine einzelne Birke. Auf den Informationstafeln am Weg lese ich über die Geschichte des alten Flughafens. Nach dem Krieg war sogar einmal im Gespräch, ihn zum internationalen Drehkreuz auszubauen. Daraus ist nichts geworden. Heute ist er ein Naturschutzgebiet. Es erinnert an eine karge Dünenlandschaft.

Auf einer der Info-Tafeln finde ich ein Gedicht von Hermann Hesse. „Welkes Blatt“ heißt es und beginnt so: „Jede Blüte will zur Frucht. Jeder Morgen Abend werden, Ewiges ist nicht auf Erden als der Wandel als die Flucht.“

Es ist ein Herbstgedicht. In ihm spiegelt sich der große Umbruch in der Natur – jetzt, wo der Sommer in den Herbst übergeht. Aber es ist zugleich ein Sinnbild für dieses Stückchen Erde vor mir, das einmal militärischen Zwecken diente.

„Auch der schönste Sommer will einmal Herbst und Welke spüren, halte, Blatt, geduldig still, wenn der Wind dich will entführen.“ Auch hier vor Ort ist zu beobachten, dass nichts bleibt, wie es ist. Die Wiese ist gelb und trocken. Das Welken ist überall zu spüren. In der Natur. Auf meiner Haut. Um mich herum.
Und so schließt das Gedicht: „Spiel dein Spiel und wehr dich nicht, lass es still geschehen. Lass vom Winde, der dich bricht, dich nach Hause wehen.“

Hermann Hesse war nicht fromm im herkömmlichen Sinn. Er stammte zwar aus einem strengen pietistischen Elternhaus. Aber er hat sich ein Leben lang gegen eine Religiosität gewehrt, die er als unfrei und einengend empfunden hat. Trotzdem hat er gewusst, dass es Dinge gibt, gegen die man sich nicht wehren sollte. Weil sie geradezu naturwüchsig auf einen zu kommen. Wie nach dem Sommer der Herbst. Wie nach dem Wachsen das Welken.

Einverstanden sein mit diesem Wechsel, das ist gut. Nicht krampfhaft festhalten wollen, das wäre eine lebensdienliche Haltung. Sie verhindert,   dass ich mich am Unabwendbaren aufreibe. Und ich denke: einverstanden zu sein mit dem Wandel, das geht leichter, wenn man die Richtung kennt.

Für Hermann Hesse heißt die Richtung: nach Hause. Ich finde, das ist eine gute Auskunft, mit der auch ich leben kann. Einverstanden zu sein, weil es bei allem Wechsel nach Hause geht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27438
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