SWR2 Wort zum Tag

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Heute ist der „Welttag des Brotes“. Wenn ich heute ins Regal einer Bäckerei schaue, dann wird mir fast schwindelig, so viel Auswahl habe ich da. Aber das war nicht immer so.

Daran erinnert der Roman  „Der Club der singenden Metzger“ von Louise Erdrich. Er spielt in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Lebensmittel sind knapp, es gibt kaum noch Brot. Aber irgendwie kommt die Hauptfigur des Romans, Fidelis Waldvogel, über sieben Ecken an einen ganzen Laib. Für ihn ein echtes Wunder! Und es ist nicht irgendein Laib Brot, sondern es ist ein unglaublich schönes Brot, offensichtlich ganz sorgfältig geformt. Fidelis Waldvogel schaut sich dieses Brot genau an. Er bewundert die feinen Krümel und den präzisen Umriss. Er staunt darüber, wie gut die Hefe verarbeitet wurde und wie goldbraun die Kruste geraten ist. Und er kommt zum Urteil: „Dieses Brot ist ein echtes Kunstwerk!“

Fidelis Waldvogel ist so begeistert von dem Brot, dass er Nachforschungen anstellt, wo es herkommt. Ihn interessiert es, wo man so sorgfältig ein im Grunde einfaches Lebensmittel herstellt.

Er bekommt heraus, dass seine Eltern das Brot von Bekannten aus den USA mit einem Päckchen bekommen haben. Es stammt aus einer Stadt mit dem Namen Argus, das liegt in North Dakota. Fidelis schreibt den Ortsnamen Buchstabe für Buchstabe auf einen Zettel – A R G U S. Und diesen Zettel trägt er in den nächsten Monaten ständig bei sich.

Irgendwann beschließt er auszuwandern, weil es nach dem Krieg immer schwieriger wird, in Deutschland zu überleben. Und auch, weil ihn der Gedanke an dieses perfekte Brot nicht mehr loslässt. Und wenn schon auswandern, dann dorthin, wo man so sorgfältig mit Brot umgeht: in die USA, nach Argus.

In dieser Brot-Geschichte von Louise Erdrich wird für mich deutlich, dass Brot nach mehr schmecken kann, als nur nach seinen Zutaten. Für Fidelis Waldvogel schmeckt das Brot nämlich nicht nur nach Hefe, Mehl und Wasser, sondern es schmeckt nach Sehnsucht, es schmeckt nach einem Ort, den er besuchen möchte. Das Brot weckt und stärkt in ihm den Wunsch aufzubrechen.

Wenn Christen im Gottesdienst vom Heiligen Brot essen, dann ist das auch mehr als nur eine Backware. Es soll in uns eine Sehnsucht wach halten – genau wie bei Fidelis Waldvogel. Vielleicht nicht nach einem Reiseziel, aber nach einem sinnvollen Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27404
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