SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Einen Steinwurf entfernt von meinem Büro ist ein Hospiz. Es trägt den Namen „Sankt Martin“. Vor kurzem bin ich in der Mittagspause einem Mann begegnet, der nach diesem Haus gesucht hat. Ich bin vom Essen in der Stadt zurückgelaufen und hab ihn auf dem Gehweg stehen sehen.  Mit einem Zettel in der Hand hat er sich suchend umgeschaut. Als ich auf seiner Höhe war bin ich stehen geblieben.  Ich habe ihn gefragt, ob ich helfe könne. In gebrochenem Deutsch hat er mir geantwortet „Ich suche das Krankenhaus Sankt Martin. Es muss hier in dieser Straße sein. Mein Sohn ist dort. In der anderen Klinik hat man nichts machen können. Aber vielleicht hier. Er ist doch erst 43 Jahre alt.“

 Der Mann hat mit südländischem Akzent gesprochen, griechisch oder italienisch; er war etwa 70 Jahre alt. Ich habe nicht gewusst, was ich antworten soll; ich bin erschrocken als ich seine Sätze gehört habe; ich kam auch gar nicht zum Antworten. Denn er erzählte gleich weiter von seinem Sohn, dass er Krebs hat, zwei kleine Kinder zuhause, 9 und 12.  Dann hat er mich angesehen und gesagt: „Die müssen ihm hier doch helfen können. Er ist noch so jung. Ich habe Hoffnung“. 

Von der Stelle, an der wir standen, sind es vielleicht 250 Meter bis zum Hospiz. Ich habe meinen Arm ausgestreckt und die Straße hinauf gezeigt. „Dort, wo man die weißen Fahnen sehen kann ist der Eingang“. Ich habe versucht so zu sprechen, als ob ich ihm den Weg zur nächsten Tankstelle erkläre. Das Wort „Hospiz“ hab ich nicht gesagt. Und gleichzeitig zog es mir das Herz zusammen; ich konnte ihm nicht sagen, dass St. Martin kein Krankenhaus war. Und dass sein Sohn dort keine Heilung erfahren würde – dass er dort zum Sterben sein würde. Diese letzte Hoffnung, die wollte ich ihm nicht nehmen. Ich hatte das Gefühl, das steht mir nicht zu.

Vielleicht hat dieser Mann aber auch gewusst, wie es um seinen Sohn steht. Und vielleicht hat er genau diese Hoffnung gebraucht, um diese wenigen, letzten Meter bis zur Eingangstür des Hospizes zu gehen.

Mir war klar: die Menschen, die dort im Hospiz arbeiten, das sind die Richtigen um den Vater in Empfang zu nehmen. Ihn aufzufangen.  Sie werden seine Hoffnung aufgreifen und mit ihm den Weg weitergehen. Ein paar Meter habe ich den Mann noch die Straße hinauf begleitet, dann bin ich abgebogen zu meinem Büro. Ich habe ihm einfach „alles Gute“ gewünscht.  Ein stilles Gebet hab ich noch hinterher geschickt. Trotz meiner eigenen Ohnmacht und meines Mit-Leidens mit ihm war ich mir in diesem Moment ganz sicher:  jede Hoffnung findet eine Antwort; auch seine!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27372
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