SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Hineni! Dieses Wort hat mich aufhorchen lassen, als ich kürzlich das Lied von Leonard Cohen gehört habe. Mehr gesprochen als gesungen. Mit seiner rauchigen Stimme. Hineni! Dieses Wort kenne ich aus der Bibel. Aus dem Alten Testament. Von Abraham, als Gott ihn prüfen will. Von Mose, als Gott ihn aus dem brennenden Dornbusch anspricht. Von Jesaja, dem Propheten, als Gott ihm seine Aufgabe überträgt. Alle drei antworten Gott, der nach ihnen fragt, mit diesem Wort: „Hineni“. „Hier bin ich!“ lässt es sich sinngemäß übersetzen.

Hineni meint kein beiläufiges „Einen Moment noch! Ich hab‘ gleich Zeit für dich!“ Wer Hineni sagt, weiß, dass es jetzt ums Ganze geht. Um Gott und Mensch. Um Leben und Tod.

Für Leonard Cohen war es sein letztes Lied, aufgenommen wenige Wochen vor seinem Tod, vor zwei Jahren. „I am ready, my Lord!“ – „Ich bin bereit, mein Gott!“ - geht das Lied weiter. Hier macht sich einer auf den Weg. Wie die Urahnen unseres Glaubens im Alten Testament. „Wenn du die Karten austeilst, bin ich aus dem Spiel“, singt er weiter. Und da klingt die Musik im Hintergrund schon recht düster.

Hineni! Leonard Cohen kannte dieses Wort aus der religiösen Tradition seiner jüdischen Vorfahren. Hineni hat für ihn eine Lebenshaltung zum Ausdruck gebracht, die auch in vielen anderen seiner Lieder immer wieder angeklungen ist: „Sei wach und bereit! Lebe so, dass andere dir abspüren: Jetzt kommt’s drauf an! In diesem Moment!

Diese wache „Ich bin jetzt ganz da!“, dieses Hineni, ist viel mehr als religiöse Tradition. Es beschreibt eine Art, mich dem Leben zu stellen. Bewusst meine Begegnungen zu gestalten. Bewusst meine Schritte zu setzen. Nicht aus Angst vor dem Tod. Sondern aus Ehrfurcht vor dem Leben. Hineni bedeutet darum: Ich bin ganz aufmerksam für das, was ich gerade tue. Für den Menschen, der mir gerade begegnet.

Es ist schwer, diese Haltung immer durchzuhalten. Ich über das selber auch immer wieder neu. Aber es lohnt sich, es immer wieder zu probieren. Ich mache mir dann klar: Mit der Haltung des „Ich bin jetzt ganz da“ beginne ich einen Weg, die Wachheit einzuüben. Ich entdecke Bedeutung und Größe auch in den kleinen Schritten meines Lebens. Gerade auch, indem ich das mache, was mir vor die Füße fällt. So gewinnt mein Leben Tiefe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27338
weiterlesen...