SWR3 Gedanken

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Mein Mann und ich laufen den Alta Via 2 Höhenweg. Abends sitzen wir in einem kleinen italienischen Dorf am Fuß der Alpen und lassen uns das Abendessen schmecken.

Gegenüber am Tisch sitzt ein älterer Mann. Er trägt wie wir Wanderklamotten und wirkt so, als wolle er mit niemandem sprechen.  

Wir fragen ihn trotzdem, wo er heute unterwegs war. Er erzählt uns, dass er auf demselben Wanderweg unterwegs ist wie wir. Allerdings in entgegen gesetzter Richtung. Als wir ihm berichten, dass wir morgen dieselbe Passüberquerung vorhaben, warnt er uns eindringlich davor: „Ich bin heute ohne Steigeisen und Eispickel die steile Schneerinne zum Pass hinaufgestiegen. Auf dem halben Weg habe ich mir gewünscht, nie hochgegangen zu sein. Umdrehen war zu gefährlich. Also bin ich in Todesangst über den Pass geklettert.“ Als der Mann fertig gegessen hat, klemmt er sich die restliche Weinflasche unter den Arm und geht. Im Vorbeigehen sagt er noch: „Passt bloß auf euch auf!“

Vor lauter Angst nehmen wir am nächsten Tag den Bus. Als wir am Ziel der Etappe ankommen und den verschneiten steilen Pass aus der Ferne sehen, ärgere ich mich: „Den hätten wir doch bestimmt auch geschafft! Hätten wir uns doch nur anders entschieden!“

Es ist so eine Sache mit den richtigen Entscheidungen:

Ich kann mir im Vorfeld nie sicher sein, die richtige Entscheidung zu treffen. Oft habe einfach zu wenig Informationen, wie etwa bei der Wanderung, und die Ratschläge der anderen sind immer subjektiv. Wichtig ist, dass ich überblicke, was die jeweilige Entscheidung bedeutet. Gibt es auch andere Möglichkeiten, etwa bis zum Pass gehen, wie bei der Wanderung, und zur Not umdrehen? Was ist, wenn ich es anders mache? Wenn ich mir das im Vorfeld bewusst mache, brauche ich mich im Nachhinein nicht zu ärgern, sondern ich kann zu meiner Entscheidung stehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27314
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