Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Heute ist der „Tag der deutschen Einheit“ – zum 28. Mal feiern wir, dass Deutschland, das durch eine Mauer geteilt war, nun wieder eins ist.

Aber Einheit entsteht nicht durch die Unterschrift unter einen Vertrag. Auch das haben die vergangenen 28 Jahre gezeigt. Letztes Jahr hat Bundespräsident Steinmeier ganz andere Mauern benannt: Mauern, die in Köpfen und Herzen aufgebaut sind. Solchen Mauern bin ich in einer ganz alltäglichen Situation begegnet.

Ich habe bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung Eintrittskarten kontrolliert. Kurz vor Einlass hat sich an der Tür eine kleine Menschentraube gebildet. Irgendwie ist die Sprache auf den Osten gekommen. Zu meinem Erstaunen haben die Menschen nur negative, hässlichen Vorurteile über „die da drüben“ geäußert. „Und dann noch das viele Geld, das wir für den Aufbau Ost bezahlen müssen…“ hat einer gesagt. Da habe ich mich eingemischt: „Also, ich bin froh, dass ich über eine gut ausgebaute Autobahn zu meiner Familie in Brandenburg fahren kann…“

Zum Glück ist in diesem Moment die Tür aufgegangen, und die Menschen sind in den Saal geeilt, um sich gute Plätze zu sichern. Aber Ihre ganze Wut gegen „den Osten“ ist noch lange bei mir geblieben.

28 Jahre, habe ich gedacht, und die Menschen sprechen noch immer von „denen da drüben“? Da war sie, die unsichtbare Mauer.

Ich denke an einen alten Gebetssatz aus der Bibel. „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“. Und mir fällt eine Weihnachtsfeier ein, die ich in Afghanistan erlebt habe. Da haben wir alle gemeinsam an Tischen gesessen und gefeiert. Die Geschichte von der Geburt Jesu habe ich dann auf besondere Weise von Soldaten vorlesen lassen – immer zwei Verse in einer Mundart: Bayrisch, Schwäbisch, Sächsich, Rheinisch, Hessisch, Plattdütsch, und ein waschechter Berliner war auch dabei.

Da war nichts von Mauern zu spüren. Wir waren alle aus verschiedenen Orten, mit unterschiedlicher Sprache sogar, aber wir haben nicht übereinander geredet, sondern miteinander. So kann sie aussehen, die Einheit - in Verschiedenheit. Und zwar nicht nur an einem Festtag – auch im Alltag, wo alle am gleichen Auftrag mitgearbeitet haben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27272
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