SWR2 Wort zum Tag

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Immer muss jemand schuld sein. Warum? Warum ticken Menschen nach diesem Muster: Es geht etwas schief, es passiert ein Unglück. Einer muss schuld sein. Und wenn sich kein Schuldiger findet, dann muss jemand herhalten. Als Sündenbock.

Bei einem Besuch in Speyer ist mir dieser Mechanismus wieder deutlich geworden. Im „Judenhof“ erinnert die Stadt Speyer an die jüdische Gemeinde, die es einmal in ihr gegeben hat. Man kann dieses jüdische Leben erahnen, wenn man in den Resten der zwei mittelalterlichen Synagogen zur Ruhe kommt. Oder wenn man hinuntersteigt in das alte Reinigungsbad, so wie es jüdische Vorfahren vor hunderten Jahren auch getan haben.

Vor fast 1000 Jahren hatte ein christlicher Bischof Juden eingeladen in die Stadt. Es war gut, das Neben- und Miteinander von Christen und Juden. Bis 100 Jahre später der Kreuzzug ins Heilige Land schief gegangen ist. Tausende Kilometer weit weg. Aber jemand musste schuld sein. Die jüdische Gemeinde, die Minderheit, musste herhalten Es kam zu schlimmsten Pogromen in vielen Städten in Europa, auch in Speyer. Trotzdem hat die jüdische Gemeinde überlebt.

Die Beziehungen konnten soweit heilen, dass 200 Jahre lang wieder vieles gut war. Die jüdische Community lebte nicht im Getto, sondern mitten im Herzen der Stadt. Ihre vom Buch geprägte Kultur hat die Bildung gefördert und weit über Speyer hinaus gewirkt. Aber dann kam die Pest.

Und wieder: „Es muss jemand schuld sein an diesem furchtbaren Leid, das niemand erklären kann.“ Der Sündenbockmechanimus hat erneut durchgeschlagen mit seinen Verschwörungsmythen: „Juden seien schuld“. Wieder gab es ein Pogrom. Die jüdische Gemeinde in Speyer ist in dessen Folge vor über 600 Jahren vernichtet worden und hat sich davon nicht mehr erholt.

‘Jemand muss schuld sein?’ Warum wirkt dieser Mechanismus bis heute? Bei einer Krankheit. Einem Unglück. Wenn das Zusammenleben von Menschen verschiedener Kulturen schwierig wird.

Jesus hat davor gewarnt: tappt nicht in die Sündenbockfalle. Man hatte ihn gefragt, wer schuld sei, dass ein junger Mann blind geboren wurde. Er selbst, die Eltern? Jesu Antwort: „Keiner. Es ist Unfug, jede Krankheit oder Krise moralisch aufzuladen mit der Schuldfrage“. Stattdessen sagte er: „An diesem jungen Mann wird offenbar werden, wie Gott wirkt.“ Und er hat ihn geheilt. Ich verstehe Jesus so: Sucht keine Sündenböcke, sondern gute Lösungen, die Leben möglich machen. Sucht gute Zukunft. Wenn sich Christen an den Juden Jesus halten, es hätte Speyer damals geholfen und uns heute auch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27267
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