SWR2 Wort zum Tag

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„Einer trage des anderen Last…“ – lautet ein Vers aus dem Galaterbrief des Apostels Paulus. Dieser gut gemeinte Ratschlag begegnet mir immer wieder als Trauspruch, wenn Paare ihre Goldene oder Diamantene Hochzeit feiern. In unseren heutigen Ohren klingt das eher nüchtern, fast ein wenig hart. Lasten tragen in einer Ehe. Wo bleibt da die Freude am Leben, das Ungezwungene? Wo bleiben Freiheit und Liebe? Zeiten ändern sich.

Doch der Vers aus dem Galaterbrief ist durchaus sinnvoll für das Leben in Beziehungen – nicht nur in einer Ehe. Für ein Leben in Beziehungen hat Gott den Menschen bestimmt – von Anfang an. Die Schöpfungsgeschichte der Bibel erzählt von der Erschaffung Adams. Es geht hier nicht um eine historische Person. Adám ist sozusagen der Prototyp des Menschen.

„Adám“ – darin klingt das hebräische Wort für Erdboden („adamah“) an. An ihm, an Adám, soll etwas typisch Menschliches sichtbar werden. Zum Beispiel, dass er Materie ist: Erde, Staub, Atome… Zugleich ist er mehr als das: Deutlich wird auch, dass er – wie übrigens jedes Lebewesen! – den lebendigen Odem Gottes in sich trägt: das Geheimnis des Lebens. „Eine lebendige Seele“ – wie die Bibel sagt. Damit ist der Mensch Adám Teil seiner Mitwelt, gehört mit anderen Geschöpfen Gottes zusammen.

Doch selbst dies genügt nach der biblischen Schöpfungserzählung noch nicht, um den Menschen letztendlich zu charakterisieren. Denn keines seiner Mitgeschöpfe erweist sich als wirklich zu ihm passend. Adám bleibt zunächst allein in der Fülle der Schöpfung. Als Adám inmitten der Welt, die ihn umgibt, seiner Einsamkeit gewahr wird, wünscht er sich jemand Ebenbürtiges an seine Seite – und Gott formt aus seiner Seite einen zweiten Menschen, der ihm zur Seite steht und dem er selbst zur Seite geht.

Die Bibel benutzt hier ein Wort, dessen Sinn uns verloren gegangen ist, weil wir bei dieser Geschichte immer nur an Adams „Rippe“ denken. Doch das hebräische Wort meint mehr. Es bedeutet „Seite“, „Tragbalken“, „Hilfe“ im Sinne von „fehlender Hilfe“. Für sich genommen, quasi allein, ist der Mensch unfertig. Erst in der Beziehung zum Mitmenschen wird er „ganz“. Darum geht es also, das ist unsere schöpfungsgemäße Bestimmung: einander zur Seite zu gehen, einander zu unterstützen, einander zu tragen, nicht nur zu ertragen, einander Lasten abzunehmen.

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