SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Eine Studie behauptet: Jeder Mensch lügt etwa 200 Mal pro Tag. Auf die Zahl kommt man allerdings nur, wenn alles, was man sagt, auf dem Prüfstand steht. Wenn all die vielen kleinen Lügen des Alltags zählen. Als Lüge gilt, wenn ich auf die Frage „Wie geht’s?“ höflich antworte „Gut“ – obwohl ich schlecht geschlafen habe und dementsprechend gelaunt bin. Als Lüge gilt auch, wenn ich einkaufe und ironisch sage: „Toll, dass die Milch ausverkauft ist“ – obwohl ich dringend einen Liter brauche. Zu den Lügen zählt auch, wenn ich ein kleines Erlebnis beim Zugfahren so ausschmücke, als wäre es eine große Angelegenheit gewesen. 

Wenn das alles Lügen sind, kommt man leicht auf 200 Lügen am Tag. Für mich aber sind das nicht alles Lügen. Warum? Wenn wir sprechen, dann befolgen wir bestimmte Regeln. Die Regeln sind allen Beteiligten bekannt sind. Wenn ich höflich bin, ironisch werde, übertreibe, dann ist das keine Lüge. Denn jeder, der mich kennt, weiß ja wie ich spreche und wie ich es meine.

Ein Beispiel aus der Welt der Religionen macht das deutlich. Nach naturwissenschaftlichen Maßstäben erzählen die biblischen Schöpfungsgeschichten etwas Falsches. Das Universum wurde nicht in sechs Tagen geschaffen. Leben auf der Erde hat sich vielmehr in Millionen von Jahren entwickelt. Allerdings: Die biblischen Texte wollen gar keine naturwissenschaftlichen Abhandlungen sein. Sie wollen etwas über den Sinn des Lebens erzählen, bezeugen, dass diese Welt nicht sinnloser Zufall ist. Sie lügen also nicht, sondern transportieren eine Wahrheit, die sich von der Wahrheit der Naturwissenschaft unterscheidet.

Gibt’s dann überhaupt noch Lügen? Klar. Lüge ist es, wenn jemand etwas Unwahres behauptet, um einen anderen zu täuschen. Um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Um jemanden fertig zu machen.

Das macht die wohl bekannteste Lüge der Weltgeschichte deutlich: Im Garten Eden werden Adam und Eva von der Schlage angelogen. Sie behauptet: Wenn ihr vom Baum der Erkenntnis esst, dann werdet ihr „wie Gott“ (Gen 3,4). „Wie Gott sein“, das weist auf das eigentliche Problem der Lüge hin. Lügen heißt, dass ich mehr sein will, als ich bin, dass ich mir die Wirklichkeit so zurechtbiege, dass sie mir passt. Und: Dass ich gut und böse, wahr und falsch eigenmächtig und zu meinen Gunsten festlegen kann. Diese Lüge ist ein Mittel vor allem für meine Zwecke – und fügt dem anderen und auch oft genug mir selbst Schaden zu. In diesem Sinne lügen wir dann doch nicht so oft am Tag, wie das manche behaupten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27198
weiterlesen...