SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ein junger Theologiestudent, den ich gut kenne, hat sich eine ungewöhnliche ehrenamtliche Aufgabe ausgesucht: Er gestaltet Gesprächskreise im Gefängnis und feiert mit den Gefangenen Gottesdienste. Ich finde allein die Vorstellung, dass sich hinter mir Eisentüren schließen, beängstigend und bedrängend, er dagegen fährt einmal in der Woche zur Justizvollzugsanstalt und lässt sich für zwei Stunden einsperren, um mit den Gefangenen zu sprechen.

Was er im Anschluss erzählt, ist allerdings sehr bewegend. Ich hätte nie gedacht, dass harte Jungs im Knast sich für den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer begeistern könnten. Doch der Student erzählt, dass sie im Gesprächskreis gar nicht genug von Dietrich Bonhoeffer hören können. Offenbar fühlen sie sich von ihm, der im Dritten Reich eingekerkert und schließlich hingerichtet wurde, in ihrer persönlichen Not zutiefst verstanden. Sein Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ ist eines der Lieblingslieder in den Gefängnisgottesdiensten, sein berühmtes Gedicht „Wer bin ich?“, in dem Bonhoeffer von seiner inneren Zerrissenheit erzählt, kennen viele Gefangene tatsächlich auswendig.

Der Theologiestudent beschönigt nicht die Taten der Gefangenen. Für ihn sind sie jedoch nicht Monster, sondern Menschen. Menschen, die oft genug sehr einsam sind, verlassen von ihren Familien, isoliert, traurig und verzweifelt. Die Botschaft der Liebe Gottes, die jedem Menschen gilt, gleichgültig, welche Schuld er auf sich geladen hat, trifft einige der Gefangenen tief ins Herz. Der Student hat mir von einem Mann erzählt, der sich im Gefängnis hat taufen lassen. Die Taufe hat den Mann nicht gänzlich zu einem neuen Menschen werden lassen. Er ist immer noch sehr reizbar und muss daran arbeiten, dass er seine Aggressionen im Griff behält. Für sein neues Leben nach dem Gefängnis, ist sein neugewonnener Glaube jedoch eine wertvolle Unterstützung. Denn er steht ganz alleine da, seine Freundin hat ihn verlassen, seine Familie verstoßen. Die Botschaft, dass Gott ihn liebt, trotz allem, schenkt ihm in dieser ganzen Misere Mut und Kraft und die Hoffnung, dass es auch für ihn eine zweite Chance gibt. Fast bin ich beschämt von dem, was mir von den Gefangenen erzählt wird. Vertraue ich so auf Gott? Sehne ich mich so nach seiner Liebe wie dieser Mann, den die Gesellschaft geächtet hat?
Im Matthäusevangelium werden die selig genannt, die Gefangene besuchen. Der Theologiestudent meint: Es ist ein Menschenrecht und eine Menschenpflicht.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27192
weiterlesen...