SWR2 Wort zum Tag

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„Lassen, nicht fassen.“ Von Meister Eckhart, dem mittelalterlichen Theologen und Philosophen, sind diese drei Wörtchen. „Lassen, nicht fassen.“ Ich weiß nicht mehr, vor wie vielen Jahren ich das irgendwo gelesen habe. Aber dieser Satz fällt mir immer wieder ein, wenn ich das Gefühl habe: jetzt bist du zu sehr hinter etwas her, jetzt willst du unbedingt, dass die Sachen so laufen, wie du es dir in den Kopf gesetzt hast, jetzt willst du unbedingt etwas durchdrücken, an etwas festhalten, was nicht mehr zu halten ist. „Lassen, nicht fassen“. Ein Lockermachen der Hand, die beim Zugreifen verkrampft, eine inneres Sich wieder  Lösen von dem, hinter dem man glaubt, unbedingt her sein zu müssen, eine Sache, ein Ziel, ein Job, ein Mensch.

Die Übung hört sich leichter an, als sie ist. Das macht Rainer Maria Rilke klar, wenn er schreibt: „Wir haben, wo wir lieben, ja nur dies:/einander lassen; /denn dass wir uns halten, das fällt uns leicht und ist nicht erst zu lernen.“ Jeder, der liebt, will das, was er liebt, fassen und halten.  Manche möchten ja über jeden Schritt Bescheid wissen, den der oder die andere tut. Und nichts ist heute einfacher, als hinter dem anderen her zu telefonieren und nachzufragen, wo er gerade steckt und wann er wiederkommt. Es gibt aber auch kaum etwas Unangenehmeres, Unfreieres.

„Lassen, nicht fassen“, rät Meister Eckhart. Dem anderen die Freiheit schenken und sich selbst frei machen, von dem Wunsch, alles bestimmen, alles in der Hand haben zu wollen. Keine Angst haben davor, dass der andere ein anderer ist mit einem eigenen Willen, mit einem eigenen Leben. Aber leicht ist es nicht, die Hand, die gerne fest zufasst, damit ihr der andere nicht entwischt, wieder locker zu machen.

Lassen, nicht fassen. Auch hinter Gott kann man, wie hinter einem Geliebten, zu sehr her sein. Aber will man dann wirklich ihn? Oder geht es dann nur noch um die eigene fixe Idee?  Um Habenwollen, Rechthabenwollen und Selbstverwirklichung. Was uns am meisten daran hindert, zu Gott zu kommen, das sind wir selbst. Davon ist Meister Eckhardt überzeugt. Auch darum rät er: „Lassen, nicht fassen.“ Machen wir uns locker und lassen Gott zu uns kommen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27105
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