SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Ich glaube nicht mehr!!!“ – vor ein paar Monaten hat das jemand in das Buch in der Klinikkapelle geschrieben. Mit drei Ausrufezeichen dahinter. „Du schickst uns Pest und Cholera und setzt immer noch einen drauf! Wir haben immer anständig gelebt und nie Unrecht getan. Nach deinen Regeln gelebt! Und jetzt dies. Wie soll ich so einen Gott noch lieben oder an ihn glauben. Ich glaube nicht mehr!!!“ schrieb der Patient oder Angehörige.

Klare Ansage. Und er ist nicht der einzige, der angesichts der Krankheit auch noch seinen Restglauben an Gott verliert. Einen Gott, der offensichtlich nichts drauf gibt, ob man anständig lebt oder nicht. Einen Gott, der die Menschen leiden lässt, die es am wenigsten verdient haben. Wenn man mit dem Verstand daran geht, erkennt man in diesem Eintrag viel Widersprüchliches. Wie kann man einen Gott beschimpfen, an dessen Existenz man nicht glaubt? Und ist es nicht doch auch sehr kühn zu behaupten, man habe „nie Unrecht getan“?

Aber wenn man mit dem Gefühl an diesen Eintrag herangeht, versteht man die Enttäuschung und Verzweiflung, die aus diesen Worten spricht, doch sehr gut. Wie soll der, der jeden Tag eine neue Hiobsbotschaft bekommt, nicht zweifeln, nicht schimpfen, sich nicht abwenden? Ich bin mir auch überhaupt nicht sicher, ob mein Glaube acht Operationen und ein halbes Jahr im Krankenhausbett ohne Aussicht auf Genesung unbeschadet überstehen würde

So wie der Glaube eines Patienten, der wohl für den Rest seines Lebens auf den Rollstuhl angewiesen bleibt, ein einfacher Christenmensch. Den traf ich in den heißen Tagen dieses Sommers am Bett eines anderen Patienten, der noch viel schlechter dran war als er selbst , . Beide hatten sich in der Klinik kennen gelernt. Und der, der immerhin noch Rollstuhl fahren konnte, saß nun in der Mittagshitze am Bett des anderen, versuchte den anderen aufzuheitern und zu trösten und hatte ihm frischen Apfelsaft mitgebracht.

Wir können nicht alle Gründe des Unglücklichseins aus der Welt schaffen. Darum ist es so schön zu erleben, dass jemand angesichts von „Pest und Cholera“, den Glauben nicht aufgibt, sondern tut, was er noch tun kann: dem anderen beistehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27104
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