SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Eines Tages, so ist in der Bibel zu lesen, verfiel König Nebukadnezar dem Wahnsinn. Niemand wollte mehr mit ihm zu tun haben. Der König, der zuvor von silbernen und goldenen Tellern gespeist hatte, benahm sich auf einmal wie ein Tier. Er ging auf allen Vieren und fraß Gras wie die Rinder. Er kleidete sich nicht mehr an, wusch und kämmte sich nicht mehr. Und seine Fingernägel, so steht es in der Bibel, wurden lang wie Vogelklauen.  Von einem Tag auf den anderen hatte König Nebukadnezar seinen Verstand verloren. Das war vor fast 3000 Jahren. Heute hätte man ihn in die Psychiatrie eingeliefert.

Mit dem so genannten Wahnsinn eines Patienten, den ich als Klinikseelsorgerin kennengelernt habe, fing es so an: Er spürte, dass er von Tag zu Tag misstrauischer wurde. Sofern seine Arbeit ihm Zeit ließ, überwachte er jeden Schritt seiner Frau. Er zählte die Kaffeebohnen ab, die sie brauchte und befahl ihr, nur noch einmal in der Woche die Dusche zu benützen. Obwohl er ein großes Haus hatte, und Geld und Grundstücke geerbt hatte, fürchtete er, zu verarmen. Schließlich ging er eines Abends in den Keller, nahm eine Axt und machte sich daran, die Ölheizung zu zertrümmern.

Wir haben in der Umgangssprache viele Ausdrücke, um das zu bezeichnen. „Er ist im Oberstübchen nicht ganz richtig, er hat einen Knacks. Er ist von allen guten Geistern verlassen, er hat nicht alle Tassen im Schrank, er spinnt, er tickt nicht richtig, er hat einen an der Waffel, bei ihm ist eine Schraube locker.“

Wir haben so viele Ausdrücke, weil wir so hilflos und eigentlich sprachlos vor diesen Menschen stehen, die wir einmal kannten, als sie in unseren Augen normal waren. Aber: Zwischen Wahnsinn und Verstand ist manchmal nur eine dünne Wand. Und wehe, wenn diese Wand einbricht. Wie normal ist es, dass man dreimal nachschaut, ob das Bügeleisen ausgestellt ist? Wie vernünftig ist es, sich zehnmal am Tag die sauberen Hände zu waschen? Oder in jedem Fremden einen Dieb zu vermuten?

Die Geschichte vom wahnsinnigen Nebukadnezar geht so aus: Eines Tages hebt er seine Augen auf zum Himmel und der Verstand kommt ihm wieder. Er lobt Gott und sagt,

„Niemand kann Gottes Hand wehren noch zu ihm sagen: Was machst du? All sein Tun ist Wahrheit und seine Wege sind recht. “ Auch wenn sich Nebukadnezar wie ein „Tier“ benahm, er war keines. Immer blieb er ein Mensch in Gottes Hand. Gott ist auf beiden Seiten dieser dünnen Wand zwischen Wahnsinnn und Verstand.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27103
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