SWR2 Wort zum Tag

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Wir haben uns längst an ihn gewöhnt – an den kleinen, weißbärtigen, rot-bemäntelten alten Mann mit der lustigen Zipfelmütze. Er dekoriert Schaufenster in der Adventszeit und beschenkt Kinder auf Weihnachtsmärkten. Zur reinen Verzierung ist er verkommen – wie die roten Mützen, die viele am Nikolaustag und darüber hinaus tragen zu müssen meinen – ein Accessoire, ein Gag.
Dabei gab es ihn wirklich. Nikolaus war jedoch keine kitschige Werbeikone, sondern Bischof von Myra, einer kleinen Stadt in der heutigen Türkei. Er lebte vor rund 1700 Jahren. Um seine Person ranken sich etliche fromme Geschichten. Wundersame und weniger wundersame.
Eines haben sie alle gemeinsam: Sie stellen uns Nikolaus als engagierten sozialen Vorkämpfer vor; als einen, der sich nicht drückte, wenn es darum ging, für Gerechtigkeit zu sorgen. Wo
er helfen konnte, setzte er sich ein – und das mit großem Erfolg.
Eine der frommen Legenden erzählt von drei Generälen, die von Kaiser Konstantin zu einem Feldzug in die südliche Türkei entsandt worden waren, um dort einen Aufstand niederzuschlagen. Auf ihrem Weg dorthin machten sie in Myra Station und waren bei Nikolaus zu Gast. Später kehr-ten sie erfolgreich in die Hauptstadt des Reiches zurück und wurden durch Kaiser Konstantin mit allen Ehren begrüßt und gefeiert.
Doch wo Erfolg ist, gibt es auch Neid. Einige Gardeoffiziere Konstantins machten die Generäle beim Kaiser schlecht. Sie denunzierten sie gegenüber dem Kaiser: Die Generäle planten seinen Sturz und wollten die Macht an sich reißen. Konstantin warf die Generäle ins Gefängnis und verhörte sie. Dass sie alles abstritten, half ihnen nicht. Die Saat des falschen Verdachts war bereits aufgegangen. Von einigen bestochenen Zeugen schlecht beraten kam der Kaiser zu der Überzeugung, dass sie tatsächlich eine Revolte im Sinn gehabt hätten, und ließ sie zum Tod verurteilen.
In ihrer Not erinnerten sich die drei Generäle an den Bischof von Myra und wandten sich an
ihn, er möge sich für ihre Begnadigung einsetzen, was Nikolaus auch tat. Die Legende will es so, dass Nikolaus dem Kaiser nachts im Traum ins Gewissen geredet haben soll und ihn von
der Unschuld der Soldaten überzeugte.
Doch Wunder hin oder her – Nikolaus trägt in dieser Geschichte die Züge eines Kämpfers für Menschenrechte. Er tritt gegenüber dem Kaiser für die Schuldlosigkeit der drei Justizopfer ein, und unter der Hand wird die Erzählung zu einer Kritik jeder irreversiblen Todesstrafe. Das macht diesen Niko-laus für uns aktuell, denn Falschjustiz gibt es auch in einem Rechtsstaat,
und die Todesstrafe hat an demokratischen Verfassungen leider keine Grenze.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2708
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