SWR2 Wort zum Tag

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Der Nikolaus ist zu einem Schokoladenheiligen geworden: Weißbärtig, in seinen roten Weihnachtsmantel gehüllt steht er in den Regalen und lächelt die Kunden freundlich an. Skandalös ist es, was wir aus dem „guten Menschen von Myra“ gemacht haben: Einen gütigen und zugleich strengen Opa, der mit Sack und Rute bewehrt die Kinder auf ihr Gewissen hin be-fragt, ob sie im vergangenen Jahr auch schön artig waren; der die Braven belohnt und die Bösen – wer oder was auch immer das sein mag – bestraft. Oder eben einfach einen lustigen Gnom, der süß schmeckt und dessentwegen man – kein Kind weiß mehr so genau, warum eigentlich – die Stiefel vor die Tür stellt, damit sie sich mit Süßwaren füllen.
Zum üblichen Sortiment gehören übrigens auch in Goldfolie eingeschlagene Schoko-Kugeln. Früher hat man noch Walnüsse – mit Goldlack übersprüht – dazu gelegt. Der Brauch wird klarer, wenn man die Legenden kennt, die sich um die Person des Nikolaus ranken.
Nikolaus gab es nämlich wirklich. Er war Bischof in Myra, einer kleinen Stadt in der heutigen Türkei. Wahrscheinlich ist er gegen Ende des dritten Jahrhunderts geboren und wurde tatsächlich alt wie ein Greis. Sein Name steht seit jeher für Güte und Freundlichkeit. Schaut man genauer hin, dann zeigt sich, dass er eine recht ungewöhnliche Gestalt war. Ein heiliger Querkopf sozusagen.
Nikolaus hatte eine Schwäche für Arme und Benachteiligte. Sein Herz schlug für soziale Gerechtigkeit. Eine alte Geschichte von ihm erzählt, wie er den drei Töchtern eines Nachbarn aus einer scheinbar ausweglosen Situation half. Sein Nachbar, früher wohlhabend und vermögend, war in eine tiefe Schuldenkrise geraten. Nachdem sein ganzer Besitz bereits gepfändet war, die Schulden aber immer noch nicht getilgt, kam der Vater dreier Töchter auf die Idee, seine Mädchen als Prostituierte an ein Bordell zu verkaufen. Nikolaus erfuhr davon und entschloss sich spontan, das Erbe seiner Mutter zu investieren, um die Mädchen zu retten. Er ging nachts am Haus seines Nachbarn vorbei und warf den Töchtern drei Goldklumpen aufs Bett. Das verhalf dem Vater dazu, seine Schulden zu begleichen, und be-wahrte die Töchter
vor der Zwangsprostitution.
Die vergoldeten Nüsse oder Schokokugeln am Nikolaustag sollen noch heu-te an diese Geschichte erinnern – wie so manche Süßigkeit, die sich mit dem Namen von Nikolaus verbindet. Leider verdeckt die süße Kuvertüre die Botschaft des sozial engagierten Vorkämpfers für Gerechtigkeit. Doch wenn die Schokoladenmännchen erst mal abgeräumt sind, bleibt vielleicht das Beispiel des echten Nikolaus übrig, der durch eine spektakuläre Spendenaktion eine Familie aus der Schuldsklaverei holte.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2706
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