SWR4 Abendgedanken

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„Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!“ (Kol 3,2) Das ist so ein biblischer Satz, der häufig missbraucht wird. Er steht im Brief des Apostels Paulus an die Kolosser. Missbraucht wird dieser Satz, wenn damit die Menschen vertröstet werden. Nach dem Motto: Wenn du hier auf der Erde zu denen gehörst, die immer zu kurz kommen, mach Dir nichts draus. Denk an den Himmel, da wird’s dir besser gehen. „Richte deinen Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische.“ Besonders schlimm, wenn solche Sätze von denen gesagt werden, die die Macht und das Geld haben. Wo das passiert, kann ich den Vorwurf, Religion sei Opium für das Volk, gut nach vollziehen.

 

Leider sind biblische Sätze vor Missbrauch nicht geschützt. Um zu verstehen, was sie meinen, muss man sich immer den Zusammenhang anschauen, in dem die Sätze stehen. Paulus stellt in diesem Abschnitt im Kolosserbrief den alten gegen den neuen Menschen. Der alte Mensch orientiert sich für Paulus am Irdischen, für ihn bedeutet das, mächtig zu sein, Geld und Einfluss zu haben, das sind seine Werte. Der neue Mensch, der Getaufte, der sich an Jesus Christus orientiert, der richtet sich am Himmel aus. Und das heißt: sich für Frieden einzusetzen, gerecht und fair mit allen Menschen umzugehen, das sind seine Werte. Und zwar nicht in ferner Zukunft sondern hier und jetzt. Für das, was ich heute tue oder auch lasse. „Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische“ bedeutet deshalb: sich am Himmel zu orientieren, aber trotzdem mit beiden Beinen im Leben zu stehen. Denn der Himmel ist nicht nur eine jenseitige Geschichte, die sich erst nach dem Tod abspielt, sondern der Himmel geschieht bereits hier und jetzt. Überall dort, wo Menschen in Frieden miteinander leben und das, was zum Leben notwendig ist, miteinander teilen. Der Himmel ist möglich - auch auf der Erde. 

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