SWR2 Wort zum Tag

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Reisen ist für die Deutschen wie Tannenbaumkaufen, sagt der Tourismusforscher Martin Lohmann. Man macht es jedes Jahr. Auf der Liste der Dinge, für die man viel Geld ausgibt, steht das Reisen ganz oben. 

Aber warum ist das so? Was suchen Menschen im Urlaub, was sie zu Hause nicht hätten? Und finden sie das auch, was sie suchen?

Befragungen ergeben, das als Gründe für das Reisen Motive angegeben werden wie: entspannen, sich erholen, frei sein. Natur erleben, gesundes Klima, etwas für die Gesundheit tun werden genannt. Letztendlich aber und unterm Strich geht es um Erfahrungen von Glück, um das Erleben erfüllter Augenblicke und um gelungenes Leben.

Das verspricht auch die Religion. Das Heraustreten aus der Mühle des Alltags. Das Überschreiten der alltäglichen, ermüdenden Routinen. Die Erfahrung, dass ich eine Zeit erleben kann, die mich verwandelt. Nach der ich mich ich frisch und wie neugeboren fühle.

In gewisser Weise, finde ich, sind Reisen und Religion darum Schwestern. Sozusagen Verwandte im Geist. Und irgendwie stimmt das ja auch: für das Reisen wie für die Religion braucht es Zeit und Spielräume. Hektik und Hetze – das geht gar nicht! Sie würden kostbare Erfahrungen zunichte machen.

Die Theologin Dorothee Sölle hat einmal die religiöse Erfahrung, insbesondere die der Mystik, mit einer Reise verglichen. Einer Reise zum Grund meiner Existenz. Oftmals ausgelöst durch eine Krisenerfahrung. Durch eine Krankheit. Einen beruflichen Wechsel. Durch das Ende einer Beziehung.

Und ich breche auf zu einer Reise, bei der ich mich verabschiede von den Bildern, die ich mir von mir selbst, aber auch von Gott gemacht habe. Eine Reise, bei der ich vorstoße zu den tieferen Dimensionen meines Lebens. Vielleicht sogar an die Quelle des Lebens komme. Um von dort wieder aufzubrechen. Und mich neu dem Alltag zu stellen. Gestärkt und gekräftigt!

In diesem Sinn sind Reisen und Religion sind tatsächlich Geschwister. Beide zeigen mir den Weg in eine außeralltägliche Wirklichkeit. Sie können mich in Kontakt bringen zu Fragen und manchmal auch Antworten, über die ich in der Hektik des Alltags hinweggehe.

Insofern stimmt der Vergleich mit dem Tannenbaumkaufen nur bedingt. Denn solche Glücksmomente brauche ich öfters als nur einmal im Jahr. Die Erfahrung, dass Leben noch etwas Anderes ist als Routine und Terminkalender! 

 

 

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27036
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