SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Mit Anfang zwanzig wusste ich nicht, ob ich an Gott glaube oder nicht. Ich war katholisch erzogen worden und habe mich damals stark in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert. Aber irgendwann war ich in der Sache mit Gott unsicher geworden. Ich konnte weder klar sagen: Ja, ich glaube an ihn, noch konnte ich mich entscheiden, dass er ab jetzt keine Rolle mehr für mich spielt. Das hat mich damals sehr beschäftigt.

In dieser Situation habe ich beschlossen, Theologie zu studieren, und bin sogar ins Priesterseminar eingetreten. Das mag vielleicht verrückt klingen, wenn man nicht weiß, ob man an Gott glaubt. Ich habe es damals als Chance gesehen, eine Antwort auf diese Frage zu finden.

Im Seminar habe ich dann Rüdi kennengelernt. Wir haben uns auf Anhieb verstanden. Nach einer langen Nacht mit tiefgründigen Gesprächen, hat er mir einen Text von Rainer Maria Rilke gegeben, in dem es heißt:

„Man muss Geduld haben gegen das Ungelöste im Herzen und versuchen die Fragen lieb zu haben. Wenn man die Fragen liebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fremden Tages in die Antwort hinein.“

Der Text hat mir damals schon gefallen. Heute habe ich das Gefühl, die Worte Rilkes waren  wie für mich geschrieben. Ich erinnere mich an viele Momente, in denen ich mich gefragt habe, wie ich Gewissheit bekommen kann. Egal, ob in die eine oder auch in die andere Richtung.

Ich kann nicht sagen, ab welchem Zeitpunkt mein Vertrauen zurückgekommen ist, dass es Gott gibt. Es war tatsächlich, wie Rilke es sagt: während ich gefragt und gesucht habe und dabei manchmal auch ziemlich verzweifelt war, bin ich irgendwie unbemerkt in die Antwort hineingewachsen: Ja, ich glaube, es gibt Gott.

Diese Antwort ist aber nichts, was ich jetzt ein für alle Mal gesichert besitze. Und es ist gar nicht so leicht, darüber zu sprechen, was diese Antwort bedeutet. Ich lebe noch immer mit vielen Fragen: Wer ist dieser Gott, von dem so viel gesagt und geredet wird? Was heißt es für mich, an ihn zu glauben?

Ich glaube, diese Fragen zu lieben, ist mein Weg, an ihn zu glauben und mit ihm in Beziehung zu bleiben. Und wenn ich es bleibe, dann lässt er mich hoffentlich immer mehr in die Antwort hineinwachsen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=27009
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