SWR2 Wort zum Tag

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In meiner Jugend gab es zu Hause ein Buch, das mich faszinierte. „Helden und Heilige“ war der Titel, eine Sammlung von Kurzbiografien für jeden Tag des Jahres, eine tolle Ahnengalerie vorbildlicher Christenmenschen.  „Helden“ und „Heilige“ in einem Atemzug zu nennen, ist inzwischen freilich höchst missverständlich. Denn wie viel Schindluder ist mit dem Heldentum getrieben worden, nicht zuletzt auf dem Rücken der gefallenen Soldaten. Und Hand aufs Herz: wer will denn heutzutage noch heilig werden?  Da denkt man an lebensferne Sonderlinge, meistens etwas sauertöpfisch und abgehoben, voller Angst zudem vor dem prallen Leben. Dazu kommt eben dieser spirituelle Rigorismus, als müsse man etwas Besonderes schaffen und Heldenhaftes tun. Umso mehr lässt das Schreiben aufhorchen, das der Papst „über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute“ an alle geschickt hat. Da zitiert er sogar das früher berühmte Wort von „der Traurigkeit, kein Heiliger zu sein“, aber meint gerade nicht das Heroische und Heldenhafte.

Schon der Titel macht klar: es geht nicht um ein spirituelles Fitnessprogramm, und erst recht nicht um geistlichen Heroismus. Nein, unermüdlich betont der Papst den Alltag. Nicht religiöse Sonderwelten hat er im Blick, nicht spirituelle Oasen, als wäre sonst überall Wüste. Typisch ist z.B. folgender Grundsatz: „Es ist nicht gesund, die Stille zu lieben und die Begegnung mit den anderen zu meiden, Ruhe zu wünschen und Aktivität abzulehnen, das Gebet zu suchen und den Dienst zu verachten“, also die Diakonie. Nein, in allen Lebenssituationen will die Gegenwart Gottes entdeckt sein. „Wir sind aufgerufen“, schreibt der Papst, „die Kontemplation auch inmitten des Handelns zu leben“ (Nr 26). Also nicht agieren und reagieren, sondern bewusst leben aus der inneren Mitte heraus, in der Gegenwart Gottes. Nicht vor der Realität flüchten, sondern darin standhalten – das ist gemeint. Klar benennt der Papst zwei Gefahren: auf der einen Seite ein frommes Leistungsdenken, als könnten und müssten wir uns ständig optimieren und heldenhaft werden; das bringt nur Stress und verrät Selbstüberschätzung. Die andere Gefahr: manche verwechseln ihre frommen Erfahrungen mit dem Ganzen des Lebens und Glaubens; in dem nämlich geht es immer um handfeste Nächstenliebe. Nicht das abgehobene geistliche Erlebnis macht den heiligen Menschen aus, sondern die gelebte Einheit von Gottes- und Nächstenliebe.  Und das mitten im grauen Alltag, nicht heldisch und imposant, sondern in den banalen Gebärden gütiger Zuwendung und aktiver Solidarität. Maßstab christlicher Heiligkeit ist immer der Nächste, das Da-Sein für ihn und mit ihm. Wenn schon Helden, dann sind es diese Helden des Alltäglichen. Der Papst empfiehlt: „Nütze jeden Tag die Gelegenheit, um kleine Dinge in großartiger Weise zu tun.“ (Nr17)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26977
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