SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Manche leiden an der katholischen Kirche. Sie ist offensichtlich nicht so, wie sie es sich vorstellen. Zwar sind viele angetan von Papst Franziskus, auch Nichtkatholiken. Aber der Streit, ob die Kommunion an evangelische Christen ausgeteilt werden darf oder nicht, hat in vielen den alten Vorwurf geweckt: Die Amtsträger in der Kirche bleiben hinter dem zurück, was Jesus gewollt hat. Mich schmerzt das, aber ich bin auch froh, dass manche Bischöfe klar Position bezogen haben und das befürworten, was viele von uns Pfarrern schon seit langem tun: nämlich einzuladen wie Jesus eingeladen hat. Er ist ja auf die zugegangen, die überhaupt nicht damit gerechnet haben. Gerade sie hat er seine Liebe spüren lassen.

Tut das die Kirche heute? Manche reiben sich daran, dass die Kirche aus Menschen besteht, die Fehler haben und manchmal sehr engstirnig sind. Aber gehören nur die zur Kirche, deren Verhalten tadellos ist? Dann könnte ich nicht zu ihr gehören. Wenn Kirche nicht aus Menschen bestehen darf, die fehlerhaft sind, die versagen, die zurückbleiben hinter dem, was sie sich vorgenommen haben, wäre sie unmenschlich. Kirche besteht aus Menschen, die Fehler haben und Fehler machen. Wichtig ist nur, dass sie diese Fehler erkennen, sie eingestehen und bereit sind, die Folgen zu tragen.

Jesus von Nazareth hat nicht ideale Menschen um sich versammelt, sondern solche, die um ihre Begrenztheit wussten – und er ist zu denen gegangen, die versagt haben, auf die man mit dem Finger gezeigt hat. Daran denke ich, wenn ich im Gefängnis Gottesdienst halte. Es ist so leicht, auf die, die versagt haben, mit dem Finger zu zeigen. Gerade ihnen hält Jesus den Spiegel vor und sagt: „Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, den Balken in deinem eigenen aber siehst du nicht!“

Wohlgemerkt! Jesus rechtfertigt nicht die Tat des Sünders. Aber er gibt dem Sünder, der umkehrt von seinem falschen Weg, neue Hoffnung, neue Lebensmöglichkeit. Er sagt nicht: „Schwamm drüber!“  Aber er verdammt den nicht, der seine Tat  bereut, der umkehrt und neu anfangen will. Er vergibt ihm, dass er zu sich selbst stehen kann und gut zu machen sucht, was er angerichtet hat. Es ist freilich viel leichter, in der Wunde anderer herumzustochern. Aber so verhindere ich, dass sie geheilt wird.  

2. Teil:

Mitte der 60er Jahre hat der evangelische Theologe Helmut Thielicke ein Buch veröffentlicht mit dem Titel: „Leiden an der Kirche.“ Mich hat das damals als jungen katholischen Theologen bewegt. Er sagt, dass es zur Kirche gehört, an ihrer Unvollkommenheit zu leiden. Das bedeutet nicht, eine schlechte Tat zu rechtfertigen, wohl aber, den Täter im Herzen mitzutragen. Dann darf ich hoffen, dass er sein falsches Verhalten einsieht und bereit ist, die Folgen auf sich zu nehmen.

Der Apostel Paulus sagt in einem Abschnitt des Kolosserbriefes: „Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kolosser 1,24). Für Paulus ist menschliche Unzulänglichkeit nicht ein Grund, der Kirche den Rücken zu kehren, sondern sich umso mehr zu engagieren, damit sie besser dem Bild Jesu entspricht. Kirche hat Fehler wie ich sie auch habe, aber genau so hat sie die Chance, mehr Menschlichkeit zu zeigen und barmherziger zu sein.

Dann kann sie auch zur Kraftquelle werden für Menschen, die vom Leid gezeichnet sind. Ich hab das in meiner ersten Gemeinde in Böblingen erlebt. Ein HNO-Arzt war an Kehlkopfkrebs erkrankt – also genau dort, wo er selber viele Menschen behandelt hat. Er hat sein Sterben auch durch dieses Pauluswort annehmen können. Er hat seine Schmerzen sozusagen in die Todesschmerzen Jesu hineingelegt. Auf einmal hat er sich nicht mehr allein gefühlt. Er hat nicht geklagt: „Warum ich?“ Er sah sich .als Teil des großen Leibes Christi, zu dem alle Menschen gehören, und so hat er sich mit den andern Leidenden dieser Welt solidarisiert.

Wo Menschen bereit sind, eine Gemeinschaft mitzutragen, auch wenn sie nicht ideal ist, da wird auch das Negative/Schlechte verwandelt. Es wird nicht vertuscht oder gar gerechtfertigt. Es wird zum Impuls, gemeinsam dafür zu sorgen, dass es mit dieser Gemeinschaft besser wird. Das gilt nicht nur für die Kirche, sondern für jede Gruppierung, jede Institution. Wo Menschen sind, gibt es immer auch Negatives, gibt es Schatten. Doch Schatten verweisen auf das Licht, und es ist wichtig, an das Licht zu glauben, ohne die Schatten zu übersehen.

Ein Brautpaar gelobt deshalb vor dem Altar, in guten wie in schlechten Zeiten zusammen zu stehen. Darin sehe ich auch einen guten Weg für die Zukunft der Kirche. Je mehr ich einen andern Menschen kennen lerne, desto mehr entdecke ich auch seine Fehler und Schwächen. Wenn ich dann auf ihm herumhacke, nehme ich ihm jeden Mut etwas zu verändern. Spürt er aber mein Wohlwollen, dann kann sich auch etwas Schmerzliches zum Guten wandeln.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26937
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