SWR3 Gedanken

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Ich bin sicher, mein Opa hat Menschen erschossen. Im Zweiten Weltkrieg. Opa ist in Russland gewesen. Als Rittmeister in der berittenen Truppe war er ganz vorne an der Front mit dabei. Ich glaube nicht, dass er ein Nazi war, das passt einfach nicht zu ihm. Aber er war Teil des Systems. Und als solcher hat er geschossen, ist selbst einige Male angeschossen worden und hat Dinge erlebt, die unaussprechlich sind.

Opa hat fast nichts vom Krieg erzählt. Er hat ihn aber nicht nur in Russland erlebt, sondern sein ganzes Leben lang fast jede Nacht. Immer wenn ich bei meinen Großeltern übernachtet habe, bin ich wach geworden, weil Opa geträumt hat. Er hat sich gewehrt, laut geschrien, gekämpft.

Opa ist schon lange tot. Jetzt hab ich selbst Kinder und komme an den Punkt, wie ich unsere deutsche Vergangenheit, wie ich den Zweiten Weltkrieg mit meinen Kindern bespreche. Es leben heute kaum noch Menschen, die den Krieg erlebt haben. Wenn meine Kinder in der Schule sind, werden keine Zeitzeugen mehr da sein. Die Kinder können dann theoretisch lernen, was damals geschehen ist und was zu diesem verheerenden Krieg geführt hat. Aber sie können von niemandem mehr live hören, wie es war, direkt beteiligt zu sein. Welche Ängste da waren.

Ich bin ganz sicher, dass der Krieg an meiner und den weiteren Generationen nicht spurlos vorübergegangen ist. Auch wenn wir nicht direkt beteiligt waren, wird so ein Trauma in Familien über viele Jahrzehnte weitergetragen. Es gibt Studien, die belegen, dass sich die traumatischen Erfahrungen sogar vererben.

Ich, meine Generation, wir stehen jetzt vor der Herausforderung, das anzugehen. Darüber zu sprechen, nachzuvollziehen, was mit den Menschen im Krieg passiert ist. Und was das für unsere Familien, für unser Leben heißt. Ich denke, wir müssen jetzt hellwach, mutig und offen sein. Und wir müssen sprechen, damit sich so ein Drama und auch das Trauma nicht wiederholen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26926
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