SWR3 Gedanken

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Ich habe einen Touristen vor der Baden-Badener Trinkhalle beobachtet. Er war offensichtlich überfordert damit, ein Selfie von sich zu machen. Selfie-Modus, Smartphone balancieren, Auslöser-Button treffen, das war alles etwas viel für ihn. Und deshalb habe ich gefragt: „Kann ich helfen?“  Die Antwort des Touristen hat mich überrascht: „Nein, sonst ist es ja kein Selfie mehr!“

Kurz habe ich mich gefragt, ob es denn einen Unterschied gibt zwischen einem normalen Foto und einem Selfie. Aber dann ist es mir eingefallen: Ein normales Bild zeigt Menschen, eine Landschaft oder eine Sehenswürdigkeit. Bei einem Selfie, da steht der Knipser selbst im Vordergrund. Und beim Teilen der Bilder heißt es dann nicht: „Das ist die Trinkhalle“, sondern: „Das bin ich und die Trinkhalle“.

Das Ich steht im Mittelpunkt – das ist der Unterschied. Das war nicht immer so. Es ist gar nicht lange her, da galt die einzelne Person noch nicht sehr viel. Man musste seine eigenen Interessen immer etwas anderem unterordnen: dem Staat, der Familie, dem Berufsstand oder der Kirche. Aus dieser Zeit rühren Sätze wie „Das gehört sich nicht!“ oder „Was sollen da die anderen denken?“ Gott sei Dank gilt heute das Ich mehr. Es ist normal, auch auf seine eigenen Bedürfnisse zu schauen: Was tut mir gut? Was brauche ich, um gut leben zu können?

Aber die Grenze zwischen „gut für sich sorgen“ und „selbstsüchtig sein“ ist schmal. Und deshalb finde ich es in der Zeit der Selfies auch wichtig, daran zu denken, dass zu viel „Selbst“ auch krankhaft sein kann oder eine Gesellschaft verändern kann. Deshalb finde ich: Ein bisschen Selfie tut gut, aber vergesst den Selfiestick nicht. Und je länger er ist, desto besser. Weil dann der Blickwinkel wieder etwas weiter wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26903
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