SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Die Asypolitik beschäftigt nach wie vor die Gemüter. Es geht mir heute Abend aber nicht um Politik. Es geht mir ums Gemüt. Was spielt sich da ab in mir und Ihnen, wenn ich Menschen begegne, die fremd sind? Ich spüre manchmal viel Ablehnung. Und zu hören bekomme ich sie auch. Mal grob, mal vorsichtig.

Ein guter Freund hat mir erzählt, dass er über sich selbst erschrocken ist. Als ihm nicht die vertraute Frau im Bäckerladen sein Brot verkauft hat, sondern eine mit Kopftuch. Da seien sie plötzlich da gewesen. Die Vorurteile, die er gar nicht haben will, weil er ein offener Mensch ist und grundsätzlich immer freundlich gegenüber dem, was neu und anders ist. Trotzdem. Es geht so schnell, dass wir uns innerlich verkrampfen. Ich denke, das braucht es nicht. Es schadet uns und unserem Land, wenn die Stimmung immer schlechter wird.

Von Goethe stammt ein Gedanke, der mir in diesem Zusammenhang zu denken gibt: „Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.“Goethe hat ihn in seinem WEST-ÖSTLICHEN DIVAN aus dem Jahr 1819 festgehalten. In diesem Buch beschäftigt er sich mit Gedichten aus Persien, mit dem Land, das heute Iran heißt, und den Menschen dort. Und natürlich auch mit dem Islam, der zu Persien gehört. Seine Gedanken wandern hin und her zwischen Morgenland und Abendland, zwischen Ost und West und münden an einer Stelle eben in jene Aussage: „Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.“ Das hört sich dramatisch an. Goethe hat nicht gemeint, dass ein Land deshalb ausradiert wird. Aber er weist auf etwas Wichtiges hin. Damit ein Land, eine Nation lebensfähig ist, braucht sie mehr als materiellen Reichtum. Dass die Menschen dort ein Haus und ein Stück Land haben, hat schon damals nicht genügt. Bei uns heute genügt es nicht, dass das Internet schnell ist und die Panzer auf dem neuesten Stand sind. Auch das Qualitätssiegel Made in Germany ist kein Garant fürs Überleben. Viel wichtiger ist, dass Menschen gastfreundlich und hilfsbereit sind. Und das kommt eben aus dem Gemüt, aus dem Herzen jedes einzelnen Bewohners. Für seine Herzens-Gefühle ist jeder selbst mit verantwortlich. Ich kann daraus eine Mördergrube machen. Wenn ich mich ständig ärgere. Wenn die bösen Gedanken die Überhand gewinnen. Wenn ich überall nur Feinde sehe und Menschen, die es auf mich abgesehen haben. Oder ich kann mein Herz zu einem Hort der Freundlichkeit machen. Und diese Freundlichkeit pflegen, sie regelrecht kultivieren.

Für Goethe ist der Fremde kein Feind. Sondern einer, der Schutz braucht. Den ich ihm leicht geben kann, weil mein Land intakt ist. Und das soll auch so bleiben. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26896
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