SWR2 Wort zum Tag

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„Angst essen Seele auf“ heißt ein Filmklassiker aus den 70er Jahren. Es geht dabei um die Seele einzelner Menschen, die schwere Wege durchs Leben gehen. Ich habe leider mehr und mehr den Eindruck, dass Angst heute die Seele ganzer Gesellschaften aufisst. In unserem Land geht es wirtschaftlich so gut wie nie und doch beherrscht uns anscheinend die Angst – davor nämlich, dass es uns auf absehbare Zeit vielleicht schlechter gehen könnte. Mit der Angst lässt sich in unserer Zeit hervorragend Politik machen, Wähler lassen sich von der Angst leiten, dass nichts mehr so sein wird, wie es war, alles den Bach runter geht, Deutschland „sich abschafft“. 

In der politisch-gesellschaftlichen Diskussion geht es dann oft um unsere Identität als eine, die in der jüdischen und christlichen Tradition begründet ist. Aber wenn dem so sein soll, dann ist es auch wichtig, das Gottvertrauen zu betonen, das in dieser Religion ganz grundlegend ist und schon immer dafür da war, die Ängste von uns Menschen zu beherrschen. Vertrauen ist da nichts, was nebenher auch noch wichtig wäre. Vielmehr ist es von Beginn an ganz zentral, denn das lateinische Wort „religio“ bedeutet sich rückzubinden an Gott – darauf zu vertrauen, dass er mitgeht. 

Dann ist es weniger schwierig, zuzugeben, dass wir viele Antworten nach dem morgen und übermorgen eben nicht griffbereit haben. Mir sind Politiker lieb, die zugeben, dass die Welt heute eben so komplex ist, dass in manchen Bereichen gar nichts anderes geht als „auf Sicht zu fliegen“. Besser jedenfalls als diejenigen, die behaupten alles wird gut, wenn wir uns abschotten und zurückziehen auf die eigene, scheinbar sichere Identität. 

In vielen Texten der Bibel, vor allem in den Psalmen und Liedern des Alten Testaments ist immer wieder die Rede davon, wie wir auf den Herrn vertrauen dürfen und sollen und welche Hoffnung in diesem Glauben steckt.

Das heißt für mich und für heute keineswegs, dass wir uns nie sorgen und ängstigen dürfen. Zu viele Gefahren drohen auf der Erde – vor allem ökologische – und Angst kann ein wichtiges Mittel sein, etwas dagegen zu tun. Aber: Eine Politik, die Angst als grundsätzliches Triebmittel hat, die uns dazu treibt, andere abzulehnen, gar zu hassen – eine solche Politik lässt sich aus unserer Religion nicht begründen und nicht rechtfertigen.

Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der Menschen hoffen und vertrauen dürfen, ohne als spinnerte Gutmenschen abgetan zu werden. Das gehört zum jüdisch-christlichen Erbe unserer Kultur.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26871
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