Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Müde und vornübergebeugt – so sieht sie aus, die Statue des Bischof Ketteler in Mainz. Ein Bild des Jammers! Dabei hat Emanuel von Ketteler Geschichte geschrieben! Seine Ideen zur sozialen Frage sind in jedem modernen Rechtsstaat umgesetzt. Als er gestorben ist im Jahr 1877, war das  alles noch nicht abzusehen. Da schien er wirklich gescheitert.

Bischof Ketteler war ein starker Charakter. Die erste Karriere als Jurist hatte er aus Gewissensgründen aufgegeben. Er wollte keinem Staat dienen, der das Gewissen eines Menschen missachtet. In seinem zweiten Beruf wurde er Dorfpfarrer. Da hat er gesehen, wie schlecht es den Leuten auf dem Land geht, finanziell, gesundheitlich, arbeitsmäßig. Das kann so nicht bleiben. Also organisiert er Gesundheitsfürsorge, Bildung für Frauen, Mittagessen für Schulkinder, die einen weiten Heimweg haben. Er hat viele Ideen, um Not zu lindern. Und in seinen Predigten nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er wird zum Fürsprecher der „sozialen Frage“: Die Industrialisierung hatte verheerende Folgen für die Arbeiter.  Deshalb wird Emanuel von Ketteler doch noch Politiker. Und kurz darauf Bischof von Mainz. Er entwickelt eine Strategie: Erst die akute Not lindern – und dann die Verhältnisse. Damit die Armen nicht dauerhaft arm bleiben, müssen die Verhältnisse sich ändern, die zutiefst ungerecht sind. Ketteler plädiert für Streikrecht, Krankenkassen und Gewerkschaften. Er entwickelt viele Ideen, die unerhört sind. Heute sind sie selbstverständlich Die wichtigste Idee  sicherlich: „Eigentum verpflichtet“. 

Leider erlebt Bischof Ketteler die Erfolge seines Kampfes um mehr soziale Gerechtigkeit nicht mehr mit. Seine Ideen scheinen gescheitert. Er stirbt müde und gebrochen. Aber das wissen wir heute besser: Er war es, der den Politikern seiner Zeit die soziale Frage mit Nachdruck auf den Tisch gelegt hat. Er hat damit den Weg bereitet für den sozialen Rechtsstaat, den wir heute haben. Aber die Kirche braucht auch weiterhin Männer und Frauen, die für soziale Gerechtigkeit kämpfen.

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