SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Langsam, kaum spürbar werden die Tage kürzer. Das Jahr hat seinen Höhepunkt überschritten. Das Licht nimmt ganz allmählich ab. 

Aus Erfahrung weiß ich, ist erst einmal die erste Hälfte des Jahres vorbei, läuft die zweite Hälfte viel schneller. Es ist wie mit dem Urlaub: ist er erst einmal halb vorüber, dann eilen die Tage nur so dem Ende entgegen.   

In diesen Zeiten abnehmenden Lichts werde ich daran erinnert, dass auch mein Leben nicht immer so weitergehen wird, wie es gerade läuft. Auch meine Lebenstage werden unaufhaltsam weniger.

Die Natur macht uns diese Wende vor. Vor ein paar Wochen war mit der Sommersonnenwende der längste Tag im Jahr. Ab da neigt sich das Jahr langsam, aber doch spürbar dem Ende zu.  

Dabei gibt mir zu denken, dass Christen schon viele Jahrhundert lang das abnehmende Licht nach der Sommersonnenwende mit einer biblischen Gestalt verbunden haben. Mit Johannes, dem Täufer.

Der muss eine eindrucksvolle Figur gewesen sein. Ein wortgewaltiger Prediger in der Wüste, zu dem die Leute landauf, landab geströmt kamen. Ein Mann, der etwas Neues ausrief. Und einen, der dieses Neue verkörperte.

Und dann tritt der auf, von dem Johannes immer gesprochen hatte: Jesus, die Hoffnung am Horizont. Plötzlich ist er da. Aus Sehnsucht, aus Erwartung ist Wirklichkeit geworden.

Johannes spürt das genau. Aber was bedeutet das für ihn? Wird er sich gekränkt zurückziehen?

Seine Reaktion fällt anders aus. Ohne zu zögern tritt er zur Seite. „Er muss wachsen“, sagt Johannes, „ich aber muss abnehmen.“

Ich finde: ein großer, ein großzügiger Satz! Und ich denke, was mich heute mit Johannes verbinden könnte, ist genau dieses: nicht stehen zu bleiben bei dem Gedanken, dass meine Zeit vergeht wie abnehmendes Licht. Sondern mit Johannes zu glauben, dass mir zugleich ein anderes, ein größeres Licht aufgeht.

Johannes erinnert mich daran, dass es gut sein kann, manches abnehmen und weniger werden zu lassen in meinem Leben.

Vielleicht die Sorge, dass ich nichts festhalten kann. Vielleicht den Ehrgeiz, dies oder das noch erreichen zu müssen. Vielleicht die Angst, meine Zeit zu verlieren.

Johannes lädt mich ein in eine Bewegung, die er selbst vorlebt: Meine Zeit in seine Hände zu legen. Sein Licht größer werden und leuchten zu lassen. Und mit dieser Zuversicht und Gelassenheit in die andere Hälfte des Jahres zu gehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26865
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