SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Heute Abend kommen Freunde zum Essen und der Kühlschrank ist noch leer. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich laufe zügig zum Supermarkt und schnappe mir schnell alles, was ich brauche. So schnell bin ich selten bei der Auswahl. Zufrieden bewege ich mich in Richtung Kasse, bis mein Blick auf die lange Warteschlange fällt. Na toll, das kann ja dauern. Ich reihe mich in eine der Schlangen ein und warte. Ich beobachte, wie alle Kassiererinnen hektisch die Ware übers Band ziehen und die Kunden kaum damit nachkommen, ihre Einkäufe in die Tüten zu packen. Überall piepst und klingelt es, die Leute stöhnen genervt auf. Auch ich werde langsam ungeduldig. Ich schaue auf die Uhr und bin in Gedanken bei meinen Gästen, die bald vor meiner Haustür stehen.

Bis in der Schlange vor mir eine alte, gebrechliche Frau an der Reihe ist. Ich denke mir: Na toll, das kann ja jetzt ewig dauern. Und tatsächlich: Die Frau braucht gefühlt eine Ewigkeit, um in ihrem Portemonnaie fündig zu werden. Endlich streckt sie der Kassiererin das Geld entgegen. Aber statt das Geld zu nehmen sagt sie: „Warten Sie, ich pack Ihnen alles noch in ihre Tüte ein.“

Im ersten Moment bin ich völlig verdattert – wir haben es alle so eilig an der Kasse und die Kassiererin hat die Ruhe weg, sich um die Einkäufe einer einzelnen Dame zu kümmern? Aber dann sehe ich das dankbare Strahlen im Gesicht der alten Dame und mir wird bewusst, wie gut ihr es tut, dass da jemand ist, der ihr Problem erkennt und ihr hilft.

Ich bewundere diese Haltung: standhaft zu bleiben gegenüber dem Druck der ungeduldigen Kunden und das zu tun, was offenbar wichtig ist: Helfen, wenn jemand Hilfe braucht.

Bei dem Thema „Helfen“ denke ich meistens an große Projekte und Organisationen, statt in meiner direkten Umgebung die Augen offen zu halten für die Menschen, die Hilfe brauchen. In meinem Alltag bin ich häufig nur darauf fixiert, meine Aufgaben zu erledigen. Dabei könnte ich so viel Gutes tun, wenn ich mir nur etwas mehr Zeit nehme. Menschen wie die alte Dame an der Kasse gehen in der Masse oft unter. Sie schreien nicht laut nach Hilfe, aber können gut meine Unterstützung brauchen. Sie sind es wert, dass ich einen Gang runter schalte und Rücksicht auf sie nehme. Auch wenn es dann mal nicht schnell genug geht.

Bevor die alte Dame weggeht, sage ich zur Kassiererin: „Mensch, das ist ja wirklich lieb von Ihnen!“ Die alte Dame lächelt und nickt freundlich: „Ja, ich weiß. Deshalb komme ich immer an diese Kasse. Das ist einmalig!“ Einmalig? Das sollte es eigentlich nicht sein.

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