SWR4 Abendgedanken

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Im Kinderzimmer meiner Tochter steht ein Puppenhaus. Als sie es vor einem Jahr zum Geburtstag bekommen hat, waren wir uns sicher, dass sie daran lange Freude haben wird. Fakt ist aber: Sie spielt überhaupt nie mit dem Puppenhaus. Ich frage sie, ob wir es wegpacken sollen, damit sie mehr Platz in ihrem Zimmer hat. Sie ist einverstanden und hilft mir, die Möbel und Puppen in einen Karton zu packen. Bis sie das Sofa und eine Puppe entdeckt und mich fragt, ob sie das nicht behalten darf. Ich  fange also an, alles wieder aus dem Karton zurück in das Haus zu stellen. Doch meine Tochter stoppt mich und sagt: „Nein, Mama, ich brauche das alles doch gar nicht!“

Ich schlage ihr vor, dass wir alles einzeln durchgehen und sie sich das raussuchen darf, was sie wirklich braucht zum Spielen. Und Tatsache: Meine kleine Tochter weiß ganz genau, was sie braucht und was nicht. In wenigen Minuten hat sie entschieden, was alles in ihr Puppenhaus kommt. Das meiste wandert in den Karton.

Als ich ihn wegbringe, sehe ich mich in meiner Wohnung um und merke schnell: Im Aussortieren ist meine Tochter definitiv besser als ich. Meine Wohnung steht voll mit Gegenständen, die ich eigentlich nie brauche. Dinge, die weder ideellen noch funktionalen Wert haben. Dinge, die mich sogar belasten und unglücklich machen. Denn beim Ausmisten merke ich, dass solche Dinge mir regelrecht die Sicht versperren auf das, was mir wirklich Freude bereitet. Zum Beispiel fallen mir meine Fotoalben in die Hände, die sich ganz hinten im Regal versteckt haben. Ich muss laut lachen, als ich Bilder von meinen Brüdern und mir als Kinder entdecke – wie wir mit albernen Hüten im Zoo unterwegs sind oder mit unserem Hund im See schwimmen. Und Urlaubsbilder mit meinen Freunden, bei denen mir auffällt, wie alt wir geworden sind, aber auch wie schön es ist, sich schon so lange und so gut zu kennen.

Und ich entdecke einen Karton voller Stoffe, aus denen ich schon lange etwas nähen möchte. Meine Nähmaschine und die Stoffe sollen nun mehr Platz im Regal bekommen, damit ich mir wieder Zeit für mein Hobby einplane; denn auch das ist viel zu kurz gekommen.

Nach dem Ausmisten fühle ich mich befreit und zufrieden. Ich denke daran, wie glücklich ich mich schätzen darf, liebevolle Menschen in meinem Leben zu haben; und dass ich mir auch für sie mehr Zeit nehmen möchte. Das tut mir sicherlich gut.

Ich freue mich, dass meine Tochter schon so früh feststellt, dass man gar nicht viel braucht, um Spaß zu haben und glücklich zu sein. Ich wünsche ihr, dass sie diese Erkenntnis lange bewahren kann. Denn Ausmisten ist eine lebenslange Aufgabe. Es geht ja immer wieder darum, was man wirklich braucht um glücklich und zufrieden zu sein.

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