SWR2 Wort zum Tag

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„Europa wird kulturell sein, oder es wird nicht sein.“
Markant und weithin sichtbar prangt dieser Satz oben am Theater in Freiburg.
Auf einem großen Spruchband. Kaum zu übersehen. „Europa wird kulturell sein, oder es wird nicht sein.“ Ein Satz, dem ich zustimmen kann und Sie sicher auch?
Die Zukunftsfähigkeit Europas hängt nicht allein davon ab, ob es in der Globalisierung wirtschaftlich erfolgreich sein wird. Sondern, ob wir nicht vergessen und verraten, dass
unsere Identität in Bildung wurzelt, in Sprache, Kunst, in Kultus und Wissenschaft.
Beim zweiten Nachdenken regt sich bei mir aber auch Widerspruch gegen den Satz. Man darf ihn nicht überschätzen. Das zeigt ein Blick in Europas Geschichte.
Kulturelle Bildung auf hohem Niveau schützt nicht davor, barbarisch zu werden. Im Gegenteil, kulturelles Selbstbewusstsein hat sogar einen Hang dazu. Für die Griechen waren alle Fremden schlicht „Barbaren“, Ungebildete. Wer nicht ihre Sprache sprach und ihre Kultur hatte, wurde in der Humanskala herabgestuft. Dieser Mechanismus kultureller Überheblichkeit gehört zum
Erbe Europas dazu. Bis heute. Ihre kulturelle Bildung hat viele Deutsche im Dritten Reich
nicht davor geschützt, andere barbarisch als so genannte Untermenschen zu behandeln. Das Gefühl eigener Bildung kann selbstgenügsam machen und blind für andere. Und kann so Zukunft gefährden.
Die Bibel macht das klar - sehr zugespitzt - im Buch des jüdischen Propheten Amos. Er
kritisiert den selbst genügsamen Kult der besseren Leute, im Namen Gottes:
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran... Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
Ihre gediegene Kultuspflege macht die Menschen sicher: Gott ist bei uns! Aber für Amos verspielen sie Gottes Nähe und ihre Zukunftsfähigkeit damit, wie sie wirklich leben:
Sie suchen mit allen Mitteln ihren wirtschaftlichen Vorteil, sind korrupt und sie nutzen die Einfachen aus. Wirklich zukunftsfähig sein hieße für Amos:
Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Europa muss in Zukunft kulturell sein. Stimmt. Vor allem wir Europäer, glaube ich. In einem sehr weiten Sinn. Im Kopf, im Herzen und im Leben. Denn: Wie wir mit den Einfachen und scheinbar Ungebildeten umgehen, das ist für Gott der Testfall. Da entscheidet sich, ob wir Kultur und Zukunft haben. Daran erinnert Amos, Sie und mich. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2674
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