SWR2 Wort zum Tag

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„Ich will dir helfen, Gott, dass du mich nicht verlässt, aber ich kann mich von vornherein für nichts verbürgen. Nur dies eine wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir letzten Endes selbst.“ (149)  Ein verrückter Text, er stellt das geläufige Bittgebet auf den Kopf: nicht der Mensch wendet sich hilfesuchend an Gott, nein, der braucht unsere Hilfe wie keiner. Da spricht jemand mit Gott auf Augenhöhe, nein, in fast mütterlicher Besorgnis. Dieser Text ist Mitte 1942 in Amsterdam geschrieben, auf dem Höhepunkt der dort gebündelten Deportationsmaßnahmen für niederländische Juden. Etty Hillesum, als zeitweilige Mitarbeiterin des sog. Judenrates unmittelbar betroffen, spricht von „schlimmen Zeiten“, die es zu bestehen gilt.  An einen Helfergott, der von außen eingreift und rettet, kann sie nicht länger glauben. Aber das verführt sie gerade nicht zu Resignation oder Unglauben, der Sinn des Bittgebetes wird vielmehr förmlich umgedreht.  So selbstbewusst und gottverbunden ist diese junge Jüdin, die auch das Christliche schätzt. Sie nimmt sich der Armut Gottes an und der Ohnmacht seiner Liebe. Etty Hillesum ist zutiefst besorgt, dass Gott keine Bleibe mehr findet, sozusagen heimatlos im Leben der Menschen.

 Deshalb schreibt sie angesichts der rapide wachsenden Bedrohung ihrer jüdischen Leidensgenossen: „Es ist das Einzige, worauf es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen. Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können, sie gehören nun mal zu diesem Leben…. Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und deinen Wohnsitz in unserem Inneren bis zum Letzten verteidigen müssen…“   Ausdrücklich fügt Etty hinzu, dass sie von Gott keine Rechenschaft fordert; Er selbst wird sich erklären und rechtfertigen. Jetzt geht es nur darum, dass Gottes Menschlichkeit nicht verloren geht und nicht die Göttlichkeit des Menschen. Für Etty Hillesum wird das ganz konkret: sie bleibt trotz und in allem voller Zuversicht, ja sie wird erstaunlicherweise immer gelassener und souveräner, sie hilft und setzt auf das Gute. Noch im KZ sieht sie den Himmel offen und will das denkende, das liebende Herz der Baracke sein. Ja, Gott braucht uns nicht, er will uns brauchen.  Er lädt zur aktiven Mitsorge ein. Er lässt bitten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26715
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