Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ich bin ein Berliner.“ Dieser Satz wird heute fünfundfünfzig Jahre alt. Gesagt hat ihn John F. Kennedy, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Er stand auf einer Tribüne im Westen des geteilten Berlin. Die Stadt war damals seit zwei Jahren von einer undurchdringlichen Mauer eingeschlossen.

Kennedy hält eine Rede, die heute zum Unesco-Weltdokumentenerbe gehört. So richtig berühmt wurde nur dieser eine deutsch gesprochene Satz: Ich bin ein Berliner. In Amerika hält sich hartnäckig der Witz, die Berliner hätten gelacht, weil Kennedy das Gebäck Berliner, also einen Kreppel gemeint hat. Das haben die Berliner natürlich nicht gedacht. Aber geschmeckt hat ihnen der Satz schon: Ich bin ein Berliner. Denn das reicht. Da ist alles gesagt. Vier höchst unspektakuläre Worte geben den Menschen Mut und Hoffnung. Denn das kurze Sätzchen zeigt ihnen, auch wenn sie den Rest der Rede vielleicht gar nicht verstanden haben, weil sie kein Englisch können: Ihr seid nicht allein. Ich stehe an eurer Seite. Da geht den Berlinern das Herz auf. Da sieht sie einer und will zu ihnen gehören. Und es ist keine Rede davon, dass das eigene Land zuerst kommen muss.

Ich bin ein Berliner. Eigentlich gehöre ich woanders hin, lebe in anderen Zusammenhängen. Aber wisst ihr was? Das vergessen wir ganz schnell. Ab jetzt gehöre ich zu euch.

Ich finde, so ein Satz ist nicht nur etwas für amerikanische Präsidenten. So ein Satz steht allen Menschen gut zu Gesicht. So ein Satz bringt Menschen zum Nachdenken darüber, wer ihren Beistand braucht. Er zwingt uns zu überlegen, an wessen Seite wir uns heute stellen müssen, weil er ausgegrenzt wird. Zum Beispiel: Ich bin – ein Jude –  ein Obdachloser – ein Flüchtling.

Wer ich bin? Macht es euch nicht zu einfach mit mir! Die Grenzen meiner Identität sind offen und fließend. So zu denken und zu sprechen, wird auch mich verändern. An wessen Seite gehöre ich? Wenn ich gebraucht werde, dann kann ich auch ein ganz anderer sein.

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