SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Früher habe ich sie niedergetrampelt oder abgemäht. Auf alle Fälle habe ich sie gehasst und wo es ging bekämpft: Die Brennnessel. Zu stark die Erinnerungen aus der Kindheit: Wenn ich im Sommer mit kurzen Hosen durch Wald und Flur getrollt bin und diese verflixte Brennnessel bei der kleinsten Berührung dafür gesorgt hatte, dass es auf meiner Haut ganz schön brannte. Diese kleinen Pusteln haben ganz schön gejuckt und selbst frische Spucke – Mutters Wunderwaffe – hat da wenig geholfen. Heute sehe ich das anders. Und das liegt nicht nur daran, dass ich nicht mehr so oft mit kurzen Hosen durch Wald und Flur trolle, sondern auch daran, dass ich mittlerweile weiß: die Brennnessel ist Futter für über 50 Schmetterlingsarten. Und Schmetterlinge liebe ich. Wenn sie durch Garten, Feld und Flur flattern, ist das für mich der Inbegriff von Sommer. Der Zitronenfalter mit seinen schnellen Flügelschlägen und dem intensiven Gelb. Das Tagpfauenauge, wenn es auf dem Weg sitzt und seine herrlich bunten Flügel in die Sonne hält. Der Schwalbenschwanz, Admiral, kleiner Fuchs, Apollofalter und wie sie alle heißen. Sie sind schön, die Schmetterlinge.

Aber ohne diese brennenden Nesseln gäbe es viele dieser wunderbaren Falter nicht. Seit dem ich das weiß, trampele ich sie an den Wegrändern in Wald und Flur nicht mehr nieder, selbst wenn ich eine lange Hose anhabe und keine Juckgefahr besteht. Selbst im eigenen Garten lass ich sie manchmal stehen, zumindest wenn sie sich an Stellen ausbreiten, wo sie mich nicht stören.

Denn wer Schmetterlinge liebt, muss Brennnesseln in kauf nehmen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26624
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