SWR3 Gedanken

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Andere Länder, andere Sitten. Auch in der Advents- und Weihnachtszeit. Im nordspanischen Katalanien zum Beispiel hat man sich seit dem 17. Jahrhundert eine Anekdote um einen biblischen Hirten zu eigen gemacht, dem die ganze Aufregung um den Stall zu Bethlehem auf die Verdauungsorgane schlägt. Auf gut deutsch möchte ich es nicht sagen. Sagen wir es einmal so: Der „Caganer“, wie die Katalanen ihre Lieblingskrippenfigur nennen, schlägt sich aus gutem Grund in die Büsche.

Die nicht ganz stubenreine Variante der Weihnachtsgeschichte findet in Katalanien großen Anklang. Und da der biblische Hirte mit dem nur allzu menschlichen Problem kein Gesicht hat, gibt man ihm eines. Auf den Weihnachtsmärkten Katalaniens findet sich der „Caganer“ in mannigfacher Ausfertigung. Katalanische Politiker, der amerikanische Präsident, spanische Fußballstars geben sich die Ehre auf dem stillen Krippenörtchen.

Natürlich findet diese Sitte nicht bei allen Anklang. Allzumal Touristen echauffieren sich über die Entzauberung von Weihnachten durch das menschliche Rühren. Aber dafür haben eingefleischte Katalanen kein Verständnis. Denn für sie ist der „Caganer“ ein regionales Symbol. Und darüber hinaus ein Zeichen dafür, dass in manchen Dingen eben wirklich alle Menschen gleich sind. Eben auf einem bestimmten Örtchen. Und dass Menschen Bedürfnisse haben. Auch in einer heiligen Nacht.

Und das ist der Grund, warum mir die Legende vom „Caganer“ so gut gefällt. Weil sie die heilige Nacht nicht entzaubert, aber erdet. Dahin holt, wo sie hingehört. Zu den Menschen. Und Menschen haben Bedürfnisse. Wie zum Beispiel dieses, ihrem Stoffwechsel zu gehorchen. Vermutlich ging das sogar dem Jesuskind so. Auch wenn die biblische Geschichte nichts von einem heiligen Windelwechsel berichtet.

In meiner Krippe wird sich kein „Caganer“ finden. Aber nicht, weil ich diese legendäre Figur anrüchig finde, sondern weil ich eben kein Katalane bin. Aber mit einem Schmunzeln denke ich an den kleinen Hirten, der nicht mehr anders konnte. Und nach allen Regeln der Kunst und des Lebens ist er keine Legende, sondern Realität. Weil Menschen eben irgendwann essen und trinken und – na, Sie-wissen-schon-was müssen. Und das tut der Heiligkeit keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil. Auf einmal wird das Heilige menschlich. Und erst dann geht es zu Herzen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2662
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