SWR2 Wort zum Tag

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Genau hinsehen. Geduld üben. Und erst dann urteilen. Wie man das lernen kann, davon erzählt die Geschichte von einem Mann, der vier Söhne hatte.

Alle vier sollten dieselbe Aufgabe lösen: einen Birnbaum draußen auf dem Feld zu beschreiben.
Der erste Sohn ging im Winter aufs Feld. Anschließend sagte er: “Kahl, krumm und gebeugt stand er da.“ Der zweite Sohn ging im Frühling hin. Und berichtete: „O, nein, er war bedeckt mit grünen Blättern. Und trug vielversprechende Knospen.“
Der dritte Sohn fand den Baum im Sommer voller Blüten. Und im Herbst meinte der vierte Sohn: „Voll beladen mit reifen Früchten, war er, und die Leute kamen, um sie zu ernten.“

Da sagte der Vater: “Ihr habet alle etwas Richtiges gesehen. Aber ihr dürft niemanden nur aufgrund eines einzigen Eindrucks beurteilen. Denn was und wie jemand ist, kann man erst am Ende ermessen“. Mich erinnert diese Geschichte an ein Gleichnis, das Jesus erzählt:

Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg. Und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft?

Der Gärtner aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn herum grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab!

Beide Geschichten warnen vor vorschnellem Urteilen und Handeln. Sie sagen, es braucht genaues Hinsehen und Geduld, bevor ich ein Urteil fälle. Denn Menschen können sich genauso entwickeln und wachsen. Ich darf sie nicht festlegen auf eine einzige Momentaufnahme.

Das biblische Gleichnis gibt dem Ganzen aber noch eine weitere Wendung. Denn Jesus selbst ist der Gärtner, der mit brennender Geduld dem Wachsen seines Gartens zuschaut. Er nimmt Anteil an dem, was da geschieht. Er will den Weinstock, der auf den ersten Blick so fruchtlos erscheint, nicht aufgeben.

Das heißt für ihn: graben und düngen! Hand anlegen, damit die Hoffnung am Leben bleibt. Die Hoffnung, dass ein Mensch umkehren und sich ändern kann.

Ich finde, von diesem Gärtner lässt sich viel lernen. Nicht vorschnell zu urteilen. Aber auch mit Leidenschaft geduldig zu sein. Und die Hoffnung tatkräftig zu pflegen wie einen Baum oder Weinstock. Mit brennender Geduld.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26562
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