SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Mein Freund Matthias ist in Ostdeutschland aufgewachsen. Das hieß für ihn: kein Kontakt zur Kirche, kein Religionsunterricht. Jetzt lebt er in Heidelberg, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Frau wünscht sich, dass die Kinder getauft werden. So lernt Matthias den christlichen Glauben langsam kennen. Er informiert sich, findet vieles interessant. Jesus, Bibel, Kirche – alles schön und gut. Und doch kommt er an einem Punkt nicht weiter. Er ruft mich an und sagt: Ich weiß nicht, wie ich zum Glauben finden soll. Als Kind habe ich es nicht gelernt an Gott zu glauben – jetzt scheint es mir unmöglich.

An etwas zu glauben, was ich nicht sehen und begreifen kann: da habe ich auch schon oft gezweifelt und nicht weiter gewusst. Mir hilft dabei eine Geschichte von Nikolaus Cusanus, einem Theologen aus dem 15. Jahrhundert. Cusanus erzählt: Ein Mensch, der nicht glaubt, beobachtet einen Christen. Erstaunt fragt er ihn: „Wie kannst du mit solchem Ernst etwas anbeten, das du nicht kennst?“ Der Christ antwortet: „Eben weil ich ihn nicht kenne, bete ich ihn an.“

Für mich heißt das: Weil Gott ein Geheimnis bleibt, kann ich zu ihm beten. Das ist ja das Besondere an Gott: Er geht über die Dinge hinaus, die ich verstehen und erklären kann.

Eines weiß ich sicher: Mein Glauben hat ganz viel mit anderen Menschen zu tun. Das Abendgebet als Kind bei meiner Oma, die Gemeinschaft auf der Jugendfreizeit oder eine Pilgerwanderung mit Freunden. Und dann gibt es noch diese besonderen Momente wie die Geburt unserer Kinder: Da fühle ich mich Gott ganz nah.

So wechselt sich bei mir beides ab: Momente, in denen Gott mir vertraut ist und Momente, in denen er mir fremd ist. Diese Zeiten, in denen ich zweifle und Gott weit weg scheint, braucht es aber auch. Oder um mit Cusanus zu sprechen: Eben weil ich ihn nicht kenne, bete ich ihn an.“

Lieber Matthias, es kann so vieles bedeuten, wenn jemand sagt: Ich glaube. Bei mir ist es so: Ich will die Welt unbedingt besser verstehen. Menschen, Schicksale, der Sinn des Lebens – da gebe ich keine Ruhe. Oft stoße ich dabei an eine Grenze und hinter dieser Grenze wartet Gott. Gegen diese Grenze renne ich an, will sie durchbrechen. Das heißt für mich zu glauben: Dass ich über mich hinaus will, weil ich ahne, dass es so viel mehr gibt. Besser kann ich es gerade nicht erklären. Aber das ist mein Versuch.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26554
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