SWR3 Gedanken

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Es ist diese typische Szene im Zug: es setzt sich jemand neben mich - laut quasselnd mit dem Handy. Nach ein paar Sätzen weiß ich ziemlich viel über die junge Frau neben mir. Dass Sie Medienkommunikation studiert hat, gerade ihre eigene Homepage aufbaut, und dass sie ziemlich gut reden kann. Das mit dem Gut Reden Können ist ihr Hauptthema. Denn die Freundin, mit der sie gerade telefoniert, bewundert sie genau dafür. Sie möchte das auch so gut können. Deswegen erklärt ihr meine Nachbarin ganz genau, wie sie sich das antrainiert hat und was man dabei alles beachten muss. Es fallen Begriffe wie: Strategie, „roter Faden“ und Einfühlungsvermögen. „Aha“, denke ich. Und dann kommt ein Satz, den meine Sitznachbarin ihrer Freundin bestimmt viermal hintereinander einbläut. Der Satz heißt: „Fake it till you make it.“

Klingt erstmal gut: „Fake it till you make it.“ Übersetzt heißt das: „Täusche es vor bis du es kannst.“ „Tue erstmal so als ob…“ und „Zeige ja keine Lücke.“ Mich ärgert dieser Satz. Vielleicht auch, weil mich die Frau neben mir langsam ärgert. Mit ihrem ganzen Schein statt Sein. Ständig höre ich sie Dinge sagen wie „die Verpackung muss stimmen“ oder „Du musst einfach authentisch und selbstsicher rüberkommen.“

„Fake it till you make it“ – das geht nicht bei den entscheidenden Dingen im Leben. Die müssen in einem reifen. So lange, bis sie wirklich zu mir gehören und nicht nur schnell antrainiert sind. Ich habe zum Beispiel gelernt, mit dem Selbstzweifel umzugehen, der immer wieder kommt. Er gehört eben zu mir. Und ich bin dabei zu üben, die Menschen um mich herum so auszuhalten, wie sie eben sind, weil ich sie nicht ändern kann. Das ist manchmal hart, wie ich im Zug erfahren habe. Auf jeden Fall geht es nicht von heute auf morgen. Und ein „fake it“ nützt da gar nichts.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26546
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