SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Fünf Jahre alt ist der kleine Junge höchstens – und schon mit der Familie auf dem Fahrrad unterwegs. Stolz, aber noch ziemlich angestrengt tritt er in die Pedale, bemüht, mit den größeren Geschwistern mitzuhalten. Als ich ihn aus dem Fenster beobachte auf dem Radweg vor unserem Haus, muss ich an meine ersten eigenen Versuche auf dem Fahrrad denken.

Ich erinnere mich noch genau daran, wieviel Mut es damals gekostet hat, das erste Mal auf das Rad zu steigen und es bergab rollen zu lassen – wohl wissend, dass mein Vater, der mir hinterher gerannt ist und mich am Gepäckträger festgehalten hat, irgendwann loslassen würde. Und dann hieß es treten, treten, das Tempo halten, so gefährlich es auch schien – denn sonst kippt man ja erst recht um.

Eigentlich, so ist mir aufgefallen, ist es mit dem Fahrradfahren so wie überhaupt im Leben. Leben kann man ja eigentlich nur in Bewegung. Wer an einem bestimmten Punkt in seinem Leben stehen bleiben will, der gerät leicht in eine Schieflage. Wer zum Beispiel nicht bereit ist, erwachsen zu werden und die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, der bekommt früher oder später Probleme. Um aber im Leben immer weitergehen zu können, braucht man Mut und Vertrauen – so wie beim Radfahren: Vertrauen, dass ich nicht falle, obwohl ich mich vergleichsweise ungeschützt und nur im labilen Gleichgewicht fortbewege. Deshalb, glaube ich, ist Fahrradfahren auch ein Bild für den Glauben – Glauben heißt ja Vertrauen.

Die Bibel ist von vorne bis hinten voll mit Geschichten von Menschen, die dieses Vertrauen besonders gebraucht haben. Denn die Bibel ist sozusagen eine große Mobilitätsgeschichte. Die Menschen, von denen da erzählt wird, mussten sich ständig fortbewegen. Sie waren tatsächlich auf der Wanderschaft – oder mussten zumindest innerlich neue Wege gehen und umdenken: Ich denke an Mose, der sein Volk aus der Sklaverei befreit hat – aber sie dabei gleichzeitig in eine unsichere Zukunft in der Wüste führen musste. Oft waren die Menschen, von denen die Bibel erzählt, auf ihren Wegen ungeschützt wie Radfahrer, die Regen und Wind trotzen müssen. Ich denke, dass auch sie oft Angst hatten, und Zweifel, ob es gehen wird. Aber sie haben nicht aufgehört, weiterzugehen, weil sie erlebt haben: Wenn ich mich bewege, gibt es etwas, das mich im Gleichgewicht hält – auch wenn ich das eigentlich nicht für möglich halte.

Daran denke ich jetzt manchmal, wenn ich die Radfahrer auf dem Radweg vorbeiflitzen sehe. Glauben, das ist wie Radfahren. Zuerst kommt es einem unmöglich vor, sich so fortzubewegen. Aber dann merkt man: Auch wenn sonst keiner festhält, auch wenn die Fahrt rasanter ist als erwartet: Ich werde im Gleichgewicht gehalten. Ich werde nicht fallen.

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