SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

In dem Gedicht „Der Morgen!“ von John Henry Mackay heißt es: „Und morgen wird die Sonne wieder scheinen…“.  Wie schlicht und wahr!

Richard Strauss hat das Gedicht vertont und seiner Frau gewidmet. Es heißt, dass er das Lied komponiert hat, als er einen Streit mit seiner Frau hatte. Wie verständlich, dass er sich wünscht, neu anfangen zu können. Wenn ich streite, kann ich mich hinter meinem Stolz einmauern und warten, dass der andere auf mich zukommt. Vielleicht klappt das ja manchmal sogar. Aber ich kann auch den ersten Schritt machen. Davon erzählt das Lied. Nicht nur vor diesem Hintergrund bei den Eheleuten Strauss, sondern auch mit dem, was Text und Musik vermitteln.

Das Besondere ist hier, dass der Wunsch nach einem Neuanfang nicht auf irgendwann vertagt wird. Die Sonne geht jeden Tag auf. Es gibt jeden Tag die Chance zu einem neuen Anfang.

Strauss drückt das mit seiner Musik wunderbar aus: Zarte Streicherklänge leiten hin zur Solovioline, die eine Melodie in aufsteigender Linie spielt und dabei das ganze Orchester mitnimmt, das immer neue Harmonien und Klänge entfaltet. Wie bei einem Sonnenaufgang am frühen Morgen. Wenn die Sonne aufzieht und die Lichtverhältnisse am Himmel innerhalb kurzer Zeit immer neue Farben zeichnen. Jeden Tag. Selbstverständlich. Bei schlechtem Wetter nur nicht immer sichtbar. Aber die Musik von Strauss schafft das auch dann, denn bei ihr geht quasi eine innere Sonne auf und weckt in mir eine Hoffnung und Kraft, aus der ich schöpfen kann.

In letzter Zeit haben mich manchmal Sorgen gequält, weil beruflich Umstellungen und neue Aufgaben auf mich zukommen. Wenn mich dann meine sorgenvollen Gedanken belasten, dann tröstet mich der Gedanke, dass das Rad der Zeit sich selbstverständlich weiterdrehen wird. Selbst die Fehler, die ich mache, kann ich ja mit der Zeit überwinden, wenn ich sie anpacke und neu anfange.

Für mich ist dieser Trost noch stärker, wenn ich an die Menschen denke, die ich durch den Tod verloren habe. Als Christ sehe ich im täglichen Sonnenaufgang ein Vorzeichen dafür, dass wir einst wieder vereint werden können, wenn wir durch den Tod in das ewige Licht eingehen. Manchmal zweifle ich daran, weil ja keiner weiß, was nach dem Tod ist. Dann hilft mir dieses Bild von einem Neuanfang, der selbstverständlich kommt. Hinter Wolken zwar, aber vielleicht eine Selbstverständlichkeit. 

Das Lied „Der Morgen!“ hilft mir, dass ich diesen Blick aufs Selbstverständliche nicht verliere. Heute und an jedem Morgen. Dass ich wie in einer zweiten kindlichen Naivität jetzt schon spüre, was hoffentlich eines Tages volle Wirklichkeit wird. Dass ich dann auch sagen kann - wie am Ende des Lieds: „Und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen“.

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