SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Neulich in Wittenberg. Nach dem Reformationstrubeljahr liegt die Lutherstadt wieder still. Ich habe das Handy am Ohr, da spricht mich eine ältere Dame an. „Ick bin ja gottlos“, sagt sie verschmitzt unterm Hütchen und ist nicht mehr still. Ich unterbreche kurz und gehe ein paar Schritte mit ihr. „Letztes Jahr, uffm Markt hab ick Sie oft jehört, so ne kurze Andachten, jefiel mir, auch wenn ick gottlos bin."

„Oh, schön“, sage ich abwesend und Tschüss. Weiter zum Bahnhof und zu meinem etwas ärgerlichen Telefonat. Da steht mir ein Kleiner im Weg. „Du, weißt Du, wir haben Glück gehabt“, er zieht wichtig seine Latzhose hoch, „sooo ein Glück“, und sieht mich erwartungsvoll an. Ich schweige. „Papa hat den Schlüssel verloren, auf der Wiese... und jeeetzt haben wir ihn gefunden. So ein Glück! Gott sei Dank“, sagt er wie ein Alter.

„Das ist ja toll“, lache ich und gehe. Der Kleine bleibt an meiner Seite. „Gott sei Dank“, sagt er immer wieder „gell?“ Sein junger Papa lächelt und flipflopt hinter uns her. „Wie heißt dein Name?“, fragt mich der Kurze und ich bin sofort verliebt. Und als er sagt „Isst du jetzt auch Eis, wenn man sich geärgert hat, dann ist das guuut, du musst ein Eis essen“, da ist mein Ärger wie weggeschmolzen. „Wenn du ein Kind triffst, hast du Gott auf frischer Tat ertappt,“ meint der Wittenberger Martin Luther. Tja, „niemand ist gottlos“, würde ich der Dame von vorhin gern noch hinterherrufen. Und: Glück gehabt, dass ich den Kleinen treffen durfte.

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