SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Vor zwei Wochen habe ich endlich einen entdeckt: Einen blühenden Magnolienbaum. Nach dem langen, kalten Winter freue ich mich jedes Jahr auf die Blütenpracht dieser Bäume. Kein anderer Baum trägt so schöne rosarote Blüten und vertreibt damit den grauen Winter. Dieses Jahr entdecke ich die Magnolie an einem Straßenrand mitten in der Stadt.

Kurz bleibe ich stehen, um den Baum zu bewundern. Dann laufe ich weiter und begegne unter dem Baum einem älteren Mann, der die ersten gefallenen Blütenblätter vom Bürgersteig kehrt. Der Mann grüßt mich freundlich und ich sage ihm bedauernd: „Da haben sie einen harten Job vor sich die nächsten Tage – wenn ständig Blätter runterfallen.“ Der Mann winkt ab und erklärt mir, dass es ihm in dieser kurzen Blütenzeit die größte Freude ist, die Blätter weg zu kehren. Denn dabei sieht er Menschen - wie mich, - die vor dem Baum anhalten und sich über die Magnolie freuen. „Für mich gibt es nichts Schöneres als die Freude der Anderen zu beobachten!“ sagt der alte Mann und strahlt.

Für mich gibt es nichts Schöneres als die Freude der anderen– was für eine tolle Lebenseinstellung denke ich mir. Wenn die Freude der Anderen so glücklich macht, dass selbst eine anstrengende Arbeit plötzlich leicht fällt. Wenn das eigene Engagement sich lohnt, weil der Andere sich freut. Nicht weil es dringend nötig ist oder man sich selbst dabei besser fühlt, sondern einfach, weil es den anderen freut.

Ich finde: Das ist Nächstenliebe. Denn bei der Nächstenliebe geht’s ja nicht nur darum, Armen und Kranken zu helfen und sich dort einzusetzen, wo die Not groß ist. Nächstenliebe bedeutet ja auch, anderen Menschen eine Freude zu bereiten, sie zum Lachen oder Staunen zu bringen. Und das gelingt oft schon mit kleinen Gesten. Dabei fallen mir so einige in meinem Umfeld ein: Meine Nachbarin, die uns immer wieder etwas Selbstgebackenes vor die Türe stellt. Meine Tochter, die momentan in ihre Vesperdose Erdbeeren packt, weil ihre Freundin im Kindergarten die so gerne isst. Und die Ehrenamtlichen in meiner Kirchengemeinde, die ältere Menschen zum Geburtstag besuchen, um ihnen zu gratulieren und mit ihnen zu feiern. Oder eben der ältere Mann mit dem Magnolienbaum. Als ich an dem älteren Mann vorbeilaufe, drehe ich mich noch einmal um und bedanke mich bei ihm. Nicht für den Anblick der Magnolie, sondern dafür, dass er mich daran erinnert hat, wie schön es ist, jemandem eine Freude zu bereiten. Denn es gibt so einige Menschen, die mir einfallen, denen ich gerne mal wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubern möchte[.

 


 

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