SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wie sieht ihrer Meinung nach ein Held aus? Jung, groß und durchtrainiert? Stark und furchtlos? Ich habe nämlich letztens einen getroffen:

Ich bin auf dem Weg zum Kindergarten, um meine Tochter abzuholen. In der Babytrage habe ich meine Neugeborene mit dabei. Ich springe noch schnell in den Supermarkt, um eine Brezel zu kaufen, als mir plötzlich etwas in den Rücken fällt. Hinter mir prügeln sich vier Männer. Es wird immer wilder und lauter; dabei demolieren die Männer die komplette Auslage des Supermarkts.

Die Menschen drum herum werden stumm und gehen in Deckung. Auch ich versuche, meine Kleine und mich in Sicherheit zu bringen. Ich flüchte etwas weiter nach hinten in den Laden und rempel dabei jemanden an: Eine kleine Dame, mindestens 80 Jahre alt, höchstens 1,60 Meter groß. Ihr fallen die Einkaufstaschen herunter. Ich entschuldige mich sofort und denke mir: „Oh je, jetzt gibt’s Stress – die alte Dame wird bestimmt gleich mächtig ausholen, um mich anzumotzen“. Sie streckt die Hände aus, packt mich, zieht mich nach hinten, stellt sich vor mich und sagt: „Wir müssen aufpassen, dass ihr Baby nicht erwischt wird von der Prügelei!“ Ich bin baff! ((stehe da, völlig überrascht – eine Prügelei mitten am helllichten Tag in der Stadt – okay, das erlebt man schon mal das eine oder andere Mal. Aber)) dass die kleinste und älteste Frau im Laden ganz groß und aufgeplustert vor mir steht, um mein Kind und mich zu schützen, das hatte ich nicht erwartet/damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet./ liegt völlig außerhalb meiner Erwartung.

Klar: mit ihrer Größe und Ausdauer kann sie mir kaum das Leben retten, wenn es hart auf hart kommt; aber darum geht es gar nicht; die alte Frau handelt mit völliger Selbstverständlichkeit; sie handelt mutig und selbstlos; sie stellt sich vor mich und mein Neugeborenes, weil sie uns schützen möchte – sie handelt so, wie man sich einen Held vorstellt – und der ist hier halt nicht jung, groß und durchtrainiert; sondern alt, klein und eben ganz anders. Und trotzdem immer bereit, sich für seine Mitmenschen einzusetzen.

Die Situation vorne im Laden scheint sich aufzulösen, die Männer sind weg, langsam beginnen die Menschen wieder ihrem Einkauf nachzugehen und den Laden zu verlassen. Die alte Dame dreht sich um und sagt mir „So, jetzt können sie glaub ich wieder gehen – passen sie auf sich auf“ – sie zwinkert mich an. Beim Rausgehen schüttel ich den Kopf, bin noch völlig ungläubig, was mir da gerade passiert ist. Ich dreh mich nochmal um aber da ist sie schon längst nicht mehr da…und ich denke mir nur: Wenn ich alt bin, bin ich hoffentlich auch so cool.

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