SWR2 Wort zum Tag

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„Sie schmieden Schwerter zu Pflugscharen um und ihre Lanzen zu Winzermessern. Nicht mehr zieht Volk gegen Volk das Schwert, und nicht mehr übt man für den Krieg.“ (Jes 2,4) Dieses Bibelwort wird am 1. Advent vorgetragen, den die Kirche morgen feiert. Und an diese Friedensvision schließt sich der Satz an: „Haus Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn.“ (Jes 2,5) Es ist eine Aufforderung des Propheten Jesaja an das „Haus Jakob“, das heißt an Israel, das Volk Gottes. Gottesglaube und Friedenswillen gehören untrennbar zusammen, so könnte man sie übersetzen.
Dieser Friedensappell, vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren in die geschichtliche Situation des Volkes Israel hinein geschrieben, ist bis heute aktuell – für jeden, der in der Tradition des biblischen Glaubens lebt. Ich lese ihn aber auch vor dem Hintergrund der heutigen Probleme in Israel, die mich um so mehr bedrücken, als ich den Unfrieden, den Hass und die Angst im Heiligen Land selbst erlebt habe. Alle Friedenshoffnungen scheinen Illusion zu sein.
Und doch gibt es ermutigende Zeichen. So zum Beispiel eine jüdisch-arabische Schule, die einzige in Jerusalem, 1998 gegründet. Yad-be-Yad-Schule heißt sie auf hebräisch, „Hand-in-Hand-Schule“. Auch ein christlicher Kindergarten gehört dazu. Jüdische Kinder, muslimische Kinder und christliche Araberkinder gehen gemeinsam dorthin. Sie wachsen dort zweisprachig mit Hebräisch und Arabisch auf. Jüdische, christliche und muslimische Feiertage werden gleichberechtigt gewürdigt. So könne es vorkommen, lese ich in einem Bericht über die Schule, dass am jüdischen Hanukkafest neben der Menorah, dem Siebenarmigen Leuchter, auch ein Christbaum im Klassenzimmer steht und dazu Gebäck wie im muslimischen Fastenmonat Ramadan gereicht wird.
„Eine Oase für Friedensvisionen“ hat ein Festredner jüngst die Yad-be-Yad-Schule genannt. Trotzdem ist sie keine Insel-Idylle. Denn die Kinder und Jugendlichen müssen viele Spannungen bewältigen lernen. Die Geschichtslehrer wollen ihnen helfen, die unterschiedlichen Sichtweisen von Juden und Arabern zu verstehen. Gleichzeitig bringen die jungen Menschen doch aus ihrem Leben ständig die Konflikte mit, die das Verhältnis beider Bevölkerungsgruppen belasten. Dennoch: Sie lernen neben vielem Wissen vor allem auch, einander als Menschen zu sehen und zu achten.
Ein Tropfen auf den heißen Stein? Vielleicht. Aber vielleicht doch auch ein Hoffnungszeichen - dafür, dass die Visionen des Friedens immer wieder im menschlichen Miteinander lebendig werden.

Inge Günter, Auf der Insel der Verständigung. In Jerusalem besuchen jüdische und arabische Kinder gemeinsam den Unterricht – und müssen dabei viel mehr lernen als die Sprache des Nachbarn, in: BADISCHE ZEITUNG, 26. Oktober 2007, S. 3.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2626
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